Nan Goldin kennt sich aus mit Schmerzen. Ihre «skandalösen» Fotografien sind voll davon. Sie zeigen die Künstlerin selber als Opfer von Gewalt, lassen in kaputte Leben der New Yorker Subkultur in den 1980ern blicken. Nan Goldin war selbst drogensüchtig. Sie hat im Gegensatz zu vielen aus ihrem Freundeskreis überlebt. Ihre schonungslosen, rohen Bilder machten sie weltberühmt. Heute gilt die 1953 geborene Nan Goldin als eine der wichtigsten Fotokünstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts.
Kein leichter Start ins Leben
In «All The Beauty And The Bloodshed» hört man die Künstlerin im Off den Kommentar sprechen. Die Archivbilder dazu hat Regisseurin Laura Poitras zum Film gefügt. Was Nan Goldin im Film erstmals offenbart: Sie hielt sich in ihren Anfangsjahren nicht nur mit Ladendiebstählen über Wasser. Um das Filmmaterial für ihre Fotos kaufen zu können, hat sie sich auch prostituiert. Schmerz erlebt sie schon früh: Ihre Eltern verstossen sie und schicken sie in eine Pflegefamilie.
Und Nans ältere Schwester Barbara, ein psychiatrisierter Freigeist, nimmt sich mit nur 18 Jahren das Leben. In der jüngeren Vergangenheit kam für Nan Goldin ein neuer Schmerz hinzu. Einer, der sie zum Aktivismus brachte. Und der sich ausgerechnet gegen jene Mäzene wendet, dank denen ihre Kunst in Museen zu finden ist. Und die sie fast umgebracht hätten … Die Rede ist von der Pharmakonzern-Dynastie Sackler, deren Familienmitglieder weltweit als milliardenschwere Kunstmäzene auftreten.
Sie sind die Besitzer jener Firma, die das Medikament Oxycontin herstellt. Nebst weiteren Opioiden wird Oxycontin verantwortlich gemacht für eine verheerende Epidemie: Bisher sind in den USA eine halbe Million Menschen an einer Überdosis gestorben, die Zahl von Schwerabhängigen ist riesig, denn das Wundermittel entpuppte sich als tödliches Medikament.
Von der Abhängigen zur Aktivistin
Nan Goldin wurde nach einer Operation von Oxycontin abhängig. Die Sucht konnte sie überwinden. Ihre Betroffenheit führte sie zum Aktivismus. Sie gründete 2017 die Organisation P.A.I.N. (Prescription Addiction Intervention Now), die mit medienwirksamen Protestaktionen auf sich aufmerksam macht. Die Aktivisten sind vor Ort und entern lautstark Kunsttempel wie das Guggenheim-Museum oder das Metropolitan Museum of Art (Met) in New York.
Die Aktionen von P.A.I.N. zeigen Erfolg: Namhafte Kunsthäuser von Met bis Louvre begannen, den Namen Sackler aus ihren Museen zu bannen und auf Zuwendungen der Mäzene aus den USA zu verzichten. Der Kampf von Goldin und ihren Verbündeten hat sich gelohnt. Die US-Regisseurin Laura Poitras ist eine preisgekrönte Dokfilmerin. 2015 erhielt sie für «Citizenfour» über den Whistleblower Edward Snowden einen Oscar. «All The Beauty And The Bloodshed» wurde im September 2022 in Venedig als bester Film mit dem «Goldenen Löwen» ausgezeichnet.
All The Beauty And The Bloodshed
Regie: Laura Poitras, USA 2022,
123 Minuten, ab Do, 27.4., im Kino