Frankreich, 1942: Auf einem Lastwagen hat der belgische Jude Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) sein halbes Baguette-Sandwich gegen ein persisches Mythenbuch eingetauscht. Das rettet ihm das Leben. Während alle andern exekutiert werden, bleibt Gilles verschont, weil er sich als Perser ausgibt. Denn im Durchgangslager, in das er kommt, sucht der für die Küche verantwortliche SS-Offizier Koch (Lars Eidinger) einen Persisch-Lehrer.
Koch rechnet damit, dass der Krieg in zwei Jahren zu Ende sein wird. Dann will er nach Teheran, um dort ein Restaurant zu eröffnen. Für 2500 Wörter sollte die Zeit reichen. Koch heuert Gilles, der sich nun Reza nennt, als Privatlehrer an. Zusätzlich übergibt er ihm die Lager-Registratur, in welche die Zugänge und Abgänge fein säuberlich eingetragen werden müssen. Abgänge heisst hier: Für diese Menschen geht es weiter in ein KZ, in den sicheren Tod.
Der Sprachunterricht bietet Szenen von grotesker Komik, denn Gilles erfindet frei «persische» Wörter der Sprache Farsi. Einmal rezitiert Koch, schon fortgeschritten, ihm stolz ein selbstverfasstes Gedicht in der fremden Sprache. Gilles muss auf der Hut sein, ein Fehler würde unweigerlich sein Todesurteil bedeuten. Er hat die Aufgabe zu bewältigen, nicht einfach Wörter zu erfinden, er muss sie alle auch im Kopf behalten. Dabei helfen ihm die Namen auf den Registratur-Listen, wo Gilles sich durch einzelne Silben für «Farsi»-Wörter inspirieren lässt.
Die Geschichte geht für Gilles gut aus. Seine Registratur-Listen sind zwar von den Nazis vor der Ankunft der Alliierten vernichtet worden. Aber er kann einem britischen Offizier berichten, dass im Lager insgesamt 25 000 bis 30 000 Häftlinge gewesen sein müssen. Und: «Ich kann 2840 Namen nennen.» So lässt er Menschen nicht vergessen gehen und gibt ihnen ihre Würde zurück.
Herausragende Schauspiel-Leistungen
Der Ausnahmeschauspieler Lars Eidinger verkörpert seinen scheinbar menschlich guten SS-Mann Koch mit verhaltener, bedrohlicher Diabolik. Eine schauspielerische Entdeckung ist der mit grossem Sprachtalent gesegnete Argentinier Nahuel Pérez Biscayart. Er gibt einen kindlich-sanftmütigen, dabei aber listigen Gegenpart zum Nazi-Offizier. Auf Französisch, Italienisch und Deutsch kann er sich ausdrücken – und natürlich auf «Farsi».
Der gebürtige Ukrainer Vadim Perelman, der sich bei «Persischstunde» auf eine Kurzgeschichte des DDR-Schriftstellers Wolfgang Kohlhaase aus dem Jahr 1970 stützt, hatte Wahrhaftiges im Sinn: Es musste realistisch wirken. Schauplätze und Atmosphären sind so treu wie möglich rekonstruiert. Nicht zuletzt: Perelman vermeidet die Peinlichkeit von Holocaust-Filmen, in denen angelsächsische Darsteller Deutsche mimen und ein Englisch mit Akzent sprechen. Die Sprache, die in diesem Film so zentral ist, stimmt.
Persischstunden
Regie: Vadim Perelman
Ab Do, 1.10., im Kino