Film: Der falsche Gottesmann
Preisgekröntes aus Polen: In «Corpus Christi» gibt sich ein junger Strafgefangener als Priester aus. Im Provinzdorf springt er für den echten Geistlichen ein und tut Gutes.
Inhalt
Kulturtipp 19/2020
Urs Hangartner
Thomas Manns Roman «Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull» ist ein literarisches Beispiel zum Thema Schwindelei. Carl Zuckmayers Schauspiel «Der Hauptmann von Köpenick» (1931) – bekannt auch durch Verfilmungen mit Heinz Rühmann oder Harald Juhnke – erzählt von Amtsanmassung und Obrigkeitshörigkeit nach einem historischen Fall. Seither nennt man eine solche Geschichte «Köpenickiade».
Der polnische...
Thomas Manns Roman «Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull» ist ein literarisches Beispiel zum Thema Schwindelei. Carl Zuckmayers Schauspiel «Der Hauptmann von Köpenick» (1931) – bekannt auch durch Verfilmungen mit Heinz Rühmann oder Harald Juhnke – erzählt von Amtsanmassung und Obrigkeitshörigkeit nach einem historischen Fall. Seither nennt man eine solche Geschichte «Köpenickiade».
Der polnische Film «Corpus Christi» stellt eine Variante der Köpenickiade dar. Es geht um einen falschen Priester. Er wird es nicht aus eigennützigen Motiven. Es ist einem Zufall geschuldet, dass der 20-jährige Daniel (Bartosz Bielenia) zum falschen Gottesmann wird. Im Jugendknast amtet er bereits als Messdiener, was ihm zu einigem Know-how verhilft. Und Daniel möchte Priester werden. Doch der Anstaltspater winkt ab: «Das Priesterseminar akzeptiert keine Leute mit solchem Hintergrund. Es gibt andere gute Dinge, die man in der Welt tun kann.»
Starke Zigaretten als geistlicher Ratschlag
Mit Blick auf seine baldige Entlassung soll sich Daniel bei einem Sägewerk in der Provinz vorstellen. Da geht er aber nicht hin. Er gibt sich spontan als Priester aus, springt für den «verhinderten» Dorfgeistlichen ein und praktiziert seine «Berufung» mit einem eher unkonventionellen Amtsverständnis. Eine Taufe mit effektvollem Weihwasserversprühen wird zur bejubelten Show. Im Beichtstuhl erhält Daniel dank Smartphone Anleitungen, was er zu tun hat. Zu einer letzten Ölung gerufen, tröstet er den Betroffenen mit den Worten: «Du wirst nicht sterben.» Für die Mutter, die ihren zwölfjährigen Sohn schlägt, weil er raucht, gibt es den geistlichen Ratschlag: «Kaufen Sie ihm ein Päckchen starke Zigaretten.» Schön subversiv sein Akt anlässlich der Segnung neuer Maschinen im Sägewerk: Daniel lässt bei der Zeremonie die anwesenden Honoratioren auf den matschigen Boden knien.
Mit Ausnahmen bleibt diese polnische Köpenickiade ernst. Daniel sieht sich, ausser mit der eigenen verbotenen Liebe zu einer jungen Frau, mit einem Dorftrauma konfrontiert. Bewohner versammeln sich regelmässig vor einer Gedenkstätte, die an den Unfalltod von sechs jungen Menschen erinnert. Wer war schuld? In dieser delikaten Angelegenheit kann Daniel vermitteln und für Versöhnung sorgen. Doch Daniel wird sein falsches Spiel nicht ewig aufrechterhalten können.
Wie falsch ist die Lüge, wie gross ist die Schuld?
Der Film stellt Fragen wie diese: Wie falsch ist die Lüge, wie gross die Schuld, wenn ein Mensch sich als Gottesmann ausgibt, den Menschen aber Gutes tut? Wie steht es mit dem Glauben? In Polen hat «Corpus Christi» bei den Filmpreisen 10 von 15 Auszeichnungen erhalten. Dazu war der Film des 38-jährigen Regisseurs Jan Komasa für den Ausland-Oscar nominiert.
Corpus Christi
Regie: Jan Komasa
Ab Do, 3.9., im Kino