Eine Szene zu Beginn zeigt einen jungen Mann, der in einem Keller offensichtlich zu seiner Hinrichtung geführt wird. Um wen es sich handelt, wird erst später deutlich. Wiederholt erscheint der Mann als eine Art Gespenst in Visionen von Heinrich Zwygart (Michael Neuenschwander). Und was sind das für Dokumente, die Zwygart im Cheminée entsorgt? Zwygart war der Schweizer Botschafter in Berlin. Im Film kehrt er im Mai 1945 fluchtartig in seine Heimat zurück.
Er macht einen zerknitterten Eindruck, trinkt Alkohol aus dem Flachmann. Sein Zuhause ist eine grossbürgerliche Villa mit Park. Familie und Freunde feiern seine Rückkehr. Zwygarts Vater glaubt immer noch daran, dass die Schweiz dank General Guisan vom Krieg verschont blieb.
Nun will Zwygart Bundesrat werden. Doch Bundesbern will nichts davon wissen. Er soll als Diplomat zurücktreten. Und mehr noch: Die Schweizer Regierung verlangt von ihm Stillschweigen über seine Mission in Berlin. Er wird fallen gelassen. Ein Bekannter meint hämisch: «Du hesch gmeint, du sigisch besser aus alli angere, aber du bisch niemer meh.»
Am Ende ist die Schweizer Fahne durchlöchert
Zwygart regt einen «Friedensball » an, der in Bern beim ausländischen Diplomatenkorps für gute Stimmung gegenüber der Schweiz sorgen soll. Der Ball findet statt, doch Zwygart und seine Familie dürfen nicht teilnehmen. Er ist definitiv in Ungnade gefallen, wird zur Unperson, zum Sündenbock und Bauernopfer. Die Welt hat sich gewandelt und mit ihr die offizielle Schweizer Haltung.
Man sieht sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Gewinnerseite. Am Ende wechselt der in Schwarz-Weiss gedrehte Film zu Farbe: Zwygarts Vater hisst in Militäruniform im Park die Schweizer Fahne. Sie ist total durchlöchert.
Zwygarts Rolle bleibt zwiespältig: Hat er während der Nazizeit angepasst gehandelt, ganz zum Wohle der Schweiz? Ist er gar ein Held? Stand er als Sympathisant der barbarischen NS-Ideologie nahe? Jedenfalls hat er, dies erklärt die wiederkehrenden Visionen, den jungen Schweizer Maurice Bavaud im Stich gelassen. In Berlin hat er keinen Finger gerührt für den gescheiterten Hitler-Attentäter, um dessen tragisches Schicksal – die Todesstrafe – abzuwenden.
Heinrich Zwygart ist der «vergessene Mann» des englischen Titels dieses Mundartfilms. Regisseur und Drehbuchautor Laurent Nègre liess sich dafür vom Schauspiel «Der Gesandte » von Thomas Hürlimann inspirieren, das 1991 uraufgeführt wurde. Mit der Titelfigur spielte der Autor damals auf den realen Schweizer Diplomaten Hans Frölicher an. «Ein schwieriges, komplexes, herausforderndes Stück», schrieb die NZZ über die Zürcher Theaterpremiere.
Ein politischer Thriller
Der Film «A Forgotten Man» beleuchtet als politischer Thriller Historisches und zielt gleichzeitig parabelhaft aufs Allgemeine: Er zeigt einen mensch- lichen Konflikt, bei dem einer auf der Strecke bleibt. Ist er selber schuld oder Opfer der politischen Umstände?
A Forgotten Man
Regie: Laurent Nègre
CH/UK 2022, 85 Minuten
Ab Do, 30.3., im Kino
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