Ein harmloser Vorfall wächst sich zu einer Art Staatsaffäre aus, ruft gar den Volksbildungsminister auf den Plan. Alles fängt damit an, dass zwei Schüler aus der DDR sich 1956 in ein Kino in Westberlin schleichen. Vor dem Hauptfilm läuft die Neue Deutsche Wochenschau, in der vom Ungarnaufstand berichtet wird. Zurück im Osten, hören die beiden mit Klassenkameraden verbotenerweise den US-Radiosender Rias. Auch hier erfahren sie von den Ereignissen in Ungarn und der Rolle der Sowjetunion.
Spontan entsteht die Idee, im Klassenzimmer aus Solidarität mit den Aufständischen eine Schweigeminute abzuhalten. Den Politfunktionären kommt die Sache zu Ohren – sie gefällt ihnen gar nicht. Das Verhalten der Maturanden taxieren sie als «sagenhaften Ungehorsam».
Gegen die ideologischen Betonköpfe der DDR
Man erklärt die kurze Solidaritätsaktion zum «konterrevolutionären Akt». So legen sich die knapp 18-Jährigen mit den ideologischen Betonköpfen des DDR-Regimes an. Denn sie bleiben standhaft. Um jeden Preis wollen die Offiziellen einen Namen, einen schuldigen Rädelsführer. Die Klasse erhält ein Ultimatum: Binnen einer Woche den Namen nennen, ansonsten wird ihnen kollektiv der Schulabschluss verwehrt.
Im weiteren Verlauf der dramatischen Geschehnisse wollen die Funktionäre den Zusammenhalt der Klasse brechen. Es kommt auch aus, dass die Elterngeneration der sozialistischen Gesellschaft in der Vergangenheit nicht unschuldig war: Ein gefeierter Held der Rotfront war gar keiner, er hatte mit den Nazis kollaboriert und war ein Verräter. Oder der schneidige Schiesslehrer der Schüler war einst SS-Untersturmbannführer.
Alle halten bis zum Schluss zusammen. Einer fängt mit dem Bekenntnis an, die anderen folgen: «Es war meine Idee» – «und meine» – «auch meine» und so weiter. Die Klasse setzt ihre Zukunft aufs Spiel. Ausser vier jungen Frauen gehen alle in den Westen und machen dort ihre Matura.
Eine wahre Geschichte über Mut und Solidarität
Nach seinem Film «Der Staat gegen Fritz Bauer» (2015) über den westdeutschen Nazijäger in den 1960ern geht Regisseur Lars Kraume mit «Das schweigende Klassenzimmer» ein Jahrzehnt zurück und auf die ostdeutsche Seite. «Dieser Film beruht auf wahren Ereignissen», heisst es im Vorspann. Kraume stützte sich für sein Drehbuch auf das gleichnamige Buch von Dietrich Garstka aus dem Jahr 2006. Darin erzählt der Autor «eine wahre Geschichte über Mut, Zusammenhalt und den Kalten Krieg». Garstka wusste, wovon er schrieb: Er gehörte ein halbes Jahrhundert früher zur solidarischen Klasse.
«Das schweigende Klassenzimmer» rekonstruiert nicht nur ein authentisches Geschehen als lebendige Zeitgeschichte. Der Film bleibt aktuell und zeitlos mit seinen Themen Wahrheit und Lüge, Gewissen, Fake News, Mut und Solidarität. Vom jungen Ensemble ist es zudem toll gespielt.
Das schweigende Klassenzimmer
Regie: Lars Kraume
Ab Do, 19.4., im Kino
Der Staat gegen Fritz Bauer
Regie: Lars Kraume
Mi, 25.4., 20.15 Arte