Kostüme, Kerzenlicht, Kutschen und so weiter: Alles ist bestens bestellt für einen Historienfilm. Es ist die Zeit der französischen Restauration in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die politischen Lager sind geteilt in liberal und royalistisch. Die Zeitungen befinden sich im Aufschwung. Die Neuerfindung der Rotationspresse ermöglicht es, dass sich kleine Blätter etablieren. So wie «Le Corsaire-Satan». Hier kommt der junge Lucien de Rubempré (Benjamin Voisin) unter.
Lucien ist aus der Provinz in die Hauptstadt gereist. Er will sich in Paris als Dichter verwirklichen. Als Günstling protegiert von seiner Mäzenin und Geliebten Louise de Bargeton (Cécile de France), findet er schliesslich zu einer neuen beruflichen Bestimmung. Hilfreich ist auch sein neuer Freund, der Journalist Etienne Lousteau (Vincent Lacoste).
Keine Moral, keine Aufrichtigkeit
Lucien wird zum Star, der nach dem glanzvollen Aufstieg in die feine Gesellschaft bald wieder fallen wird. Seine und die Illusionen anderer gehen verloren. Ideale wie Moral oder Aufrichtigkeit gelten nicht. Es scheint, als geschehe alles im Dienst des Profits. Das Geld regiert, alles und alle sind käuflich. Die Fakten müssen nicht stimmen, politische Überzeugungen und kulturelle Wertungen – eine Frage des Preises.
Theaterkritiken und die Gunst des Publikums werden in diesem Paris manipuliert. Ein Claqueur-dirigent bedient eine Applaus-maschine und ein grosses Trichtergerät für Buhrufe. Das Lügengeschäft floriert. Die Presse und mit ihr die Gesellschaft sind durch und durch verdorben. Das Zeitungswesen bedient Fake News und Sensationen. Eine Szene im Film zeigt, wie die Dinge damals auf die Spitze getrieben werden konnten: Ein Redaktionsaffe wählt nach dem Beliebigkeitsprinzip ein Buch aus, das entweder gelobt oder verrissen wird. Wenn sich wieder einmal Erfolg einstellt, wird auf der Redaktion tüchtig gefeiert. Es gemahnt an Szenen aus der Welt des Börsenbooms der 1980er: Man schüttet Champagner in rauen Mengen in sich hinein und schmaucht eine Haschpfeife.
Opulent ausgestattet und toll gespielt
Honoré de Balzac hat «Illusions perdues» als Teil seines grossen Romanwerks «Die menschliche Komödie» zwischen 1837 und 1843 publiziert. Aus der rund 700-seitigen Buchvorlage hat Regisseur Xavier Giannoli einen zweieinhalbstündigen Film gemacht, ein historisches Sittengemälde, in dem sich viele Entsprechungen im Heute finden lassen. Ein schönes Stück kritischer Medien- und Kulturgeschichte.
Der opulent ausgestattete und toll gespielte Film hat in Frankreich bereits tüchtig abgeräumt. Der Film wurde für rekordverdächtige 15 Césars nominiert. Erhalten hat er insgesamt sieben der renommierten Auszeichnungen, unter anderem in den Kategorien bester Film, bester Nachwuchsschauspieler (Benjamin Voisin) und beste Kostüme.
Illusions perdues
Regie: Xavier Giannoli
F 2021, 150 Minuten
Ab Do, 14.7., im Kino