Das ist Kitsch pur. Winston Churchill (Brian Cox) kniet in seinem Schlafgemach und betet mit dem Whiskyglas in der Hand zum Herrgott. Der Premierminister wünscht sich, dass schlechtes Wetter über den Ärmelkanal zieht, damit die Alliierten auf die am folgenden Tag geplante Invasion in der Normandie verzichten müssen.
Der Allmächtige erhörte den Politiker nicht, und die Invasion vom 6. Juni 1944 nahm unter dem Codenamen Overlord ihren Lauf. Etwa 1,5 Millionen alliierte Armeeangehörige erreichten innerhalb einer Woche Frankreich.
Ein überzeichnetes Filmporträt
Die militärische Operation war ein Erfolg; die Nationalsozialisten mussten knapp ein Jahr später kapitulieren. Der britische Kriegspremier gilt als einer der politischen, aber auch militärischen Strategen, denen die Invasion zu verdanken ist, wie man glauben könnte. Aber weit gefehlt, wenn es nach dem australischen Regisseur Jonathan Teplitzky geht. Er porträtiert Winston Churchill in seinem gleichnamigen Spielfilm als einen zögerlichen Feigling, der alles daran setzt, diese Invasion zu verhindern. Denn er war angeblich von der fehlgeschlagenen Invasion von Gallipolli im Ersten Weltkrieg mit mehr als 100 000 britischen Verlusten traumatisiert. Er hatte diese als Marineminister nach krassen politi-schen und militärischen Fehlentscheiden mitzuverantworten. Churchill versuchte, die US-Armeeführung unter Dwight D. Eisenhower (John Slattery) sowie seinen eigenen Oberbefehlshaber Bernard Montgomery (Julian Wadham) von der Invasion in Frankreich abzuhalten. Dabei musste der Premier erkennen, dass das Primat der Politik über das Militär in Kriegszeiten nicht mehr gilt: Die militärischen Führer entscheiden die wichtigsten, auch politischen Fragen.
Im Übrigen bekommt der Kinobesucher ein Filmporträt von Churchill zu sehen, das über- zeichnet ist: Zwar hat der Mann tatsächlich dem Whisky zugesprochen und litt unter Depressionen. Aber er war kaum ein exzentrischer Alkoholiker, der am liebsten auf seinen Mitmenschen herumhackte, am meisten auf seiner Ehefrau Clementine (Miranda Richardson). Zumindest vermitteln die gängigen Biografien diesen Eindruck nicht, wie etwa die jüngste von Boris Johnson, dem heutigen Aussenminister des Landes. Richtig ist dagegen, dass Churchill unter Stress zu Fehlentscheiden neigte. So wollte er mit den alliierten Truppen am D-Day selbst nach Frankreich übersetzen. Niemand konnte ihn laut dem Historiker Tim Benbow von dieser fatalen Idee abbringen – ausser schliesslich König Georg VI. selbst.
Historische Schwächen hin oder her: Das filmische Kammerspiel von Regisseur Teplitzky ist gute Unterhaltung. Zumal der Zuschauer nicht die bekannten Dokumentarbilder von den Landeschiffen vorgesetzt bekommt. Zu sehen sind vielmehr heftige, zwischenmenschliche Auseinandersetzungen in den engen Räumlichkeiten an der Downing Street Number 10, Whitehall oder aus den unterirdischen Londoner «War Rooms».
Churchill
Regie: Jonathan Teplitzky
Ab Do, 1.6., im Kino
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