Um einen wie ihn zu verste- hen, sollte man sein verlegenes Lächeln sehen, wenn er dem Applaus nicht traut, der ihm nun seit Monaten für seine Rolle in «The Whale» entgegenbrandet. Mehr aber noch sollte man hören, wie aus dem 54-jährigen Schauspieler mit den dünner werdenden Haaren und dem teigigen Gesicht die Worte tröpfeln wie schüchterne Wasserstandsmeldungen. So leise und doch so pointenreich – das hätte man dem ehemaligen Blockbuster-Beau Brendan Fraser nicht zugetraut. Denn plötzlich spricht er beim Interview am Filmfestival Venedig von jenem «Adventure Guy» oder «Caveman Guy» und meint damit sich selbst, wie er mit 90er-Jahre-Filmen à la «Stein- zeit Junior» (1992) oder «The Mummy» (1999) zum «Sexiest Man Alive» avancierte.
Persönliche Tragödien und ein Karrierestopp
Fraser, 1968 geboren als Sohn kanadischer Eltern im US-amerikanischen Indianapolis, kam früh in der Welt herum. Sein Vater war in der Reisebranche tätig. Im Gespräch erinnert sich der Schauspieler, wie er als Siebenjähriger ein Sommerlager in Lausanne besucht hatte: «Die kupferblaue Farbe des Genfersees werde ich nie vergessen.»
Apropos Schweiz: Viele Jahre später hätte Brendan Fraser den Wilhelm Tell in einer Hollywoodverfilmung spielen sollen. Aber dann verzögerte sich die Produktion über Jahre, und Frasers Karriere war damals schon fast vorbei. Zum einen, weil er sich mit seinen eigenen Stunts körperlich so kaputtgemacht hatte, dass er sich zahlreichen Knie- und Rückenoperationen unterziehen musste. Zum andern, weil private Schicksalsschläge (autistischer Sohn, Scheidung, Tod seiner Mutter) hin- zukamen. Und schliesslich soll der einstige Präsident der Hollywood Foreign Press Association, welche die Golden Globes vergibt, Fraser 2014 sexuell belästigt haben.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass der für «The Whale» nominierte Schauspieler 2023 der Golden-Globes-Verleihung fernblieb – und auch nicht gewann. Es ist ein offenes Geheimnis, dass man an dieser Veranstaltung nur dann eine Trophäe holt, wenn man als Star präsent ist.
Eine feine Seele in einem adipösen Körper
Aber wie gut ist nun das, was Fraser in «The Whale» spielt? Dafür muss man sich diesen Charlie, der sich aus Frust und Trauer zum 300-Kilo-Mann gefressen hat, einmal genauer anschauen. Dann wird schnell klar, dass in diesem adipösen Körper eine feine Seele wohnt. Oder wie es Fraser formuliert: «Charlie ist ein Superheld, und seine Superkraft besteht darin, dass er stets das Gute in den Menschen sieht.» Im Gegensatz zu seiner entfremdeten Tochter (Sadie Sink), die den kontaktsuchenden Charlie zunächst eiskalt auflaufen lässt.
Das vielleicht Beste an diesem Film ist, dass Fraser fastalles mit den Augen spielt, ja, spielen muss, weil da rundherum ein fach zu viel Körper ist. «Ich musste mich auf eine ganz neue Art bewegen, und dafür brauchte ich Muskeln, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie besitze», sagt Fraser.
Eingezwängt in einen monströsen Fatsuit
Im Detail bedeutete das, dass der Schauspieler täglich drei Stunden in der Maske sass und sich in einen mit Granulat, Murmeln und getrockneten Bohnen bestückten Fatsuit zwängen musste. Die Schwierigkeit dabei: «Bei jedem Schritt sackte eine meiner Schultern nach vorne, was ich durch ein Hochziehen derselben wieder ausgleichen musste, ohne dass es wie eine schlechte Michael-Jackson-Kopie aussah.»
Der Aufwand hat sich gelohnt, das Kammerspiel von Regisseur Darren Aronofsky berührt, und Fraser ist zurück – nicht mehr als vermeintlich talentloser Schönling, sondern als exzellenter Schauspieler mit schönen Zügen. Pech hat er aber manchmal immer noch.
Erst kürzlich wurde der 90 Millionen Dollar teure «Batgirl »-Film, in dem Fraser einen Bösewicht spielt, vom Warner-Studio aufgrund schlechter Testvorführungen gecancelt. Trotzdem dürfte die «Brenaissance», wie das Comeback von Brendan Fraser genannt wird, weitergehen. Für die Oscarverleihung am 12. März gilt er jedenfalls als grosser Favorit bei den Hauptdarstellern. Und als Nächstes wird Fraser in «Killers of the Flower Moon» von Regielegende Martin Scorsese zu sehen sein – neben den Stars Leonardo DiCaprio und Robert De Niro.
The Whale
Regie: Darren Aronofsky
USA 2022, 117 Minuten
Ab Do, 16.3., im Kino