Mit seinem vielfach prämierten Dokumentarfilm «Fuocoammare» von 2016 blickte Gianfranco Rosi in den Alltag auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa im Mittelmeer. Im neuen Film «Notturno» hat der italienische Regisseur Bilder von Orten des Krieges und von kriegsversehrten Menschen gesammelt – in den Grenzgebieten von Syrien, Irak, Libanon und im irakischen Kurdistan.
Bewaffnete halten als Wachposten Ausschau, eine Truppe Soldatinnen macht sich auf, mit Taschenlampen Häuser zu durchsuchen, die Scheinwerfer von Panzerwagen leuchten durch die Nacht, ein junger Mann mit Gewehr versucht sich auf einem Feld als Vogeljäger. Diszipliniert schwärmen orange gewandete Häftlinge beim Hofgang aus und kehren anschliessend in ihre Massenzellen zurück. Ein Laienensemble probt in einer psychiatrischen Klinik für ein Stück. Es handelt von «Krieg, Invasion, IS, von der Geschichte unserer Länder», so der Regisseur der Theatertruppe.
«Eine Ode an den Menschen»
«Notturno» blickt auf stille Weiten der Natur, auf Idyllisches fast, wären da nicht die zerbombten Siedlungen und Ruinenlandschaften oder die klagende Mutter in der verlassenen Zelle, wo ihr Sohn gefoltert und getötet wurde.
Zu den erschütterndsten Szenen des Films gehören jene mit den Schulkindern, die ihre schrecklichen Erlebnisse in Maltherapien zu verarbeiten versuchen. Fawaz kommentiert seine Zeichnungen: «Ich bin in die Berge geflohen. Ich habe all die Menschen sterben sehen.» Dunkle Gestalten auf einem Blatt identifiziert Fawaz als Männer des IS: «Der IS hat die Köpfe von Frauen abgeschlagen, sie erdrosselt, verbrannt.»
Klar, das ist ein politischer Film, der nach dem Willen seines Regisseurs allerdings nicht Fragen der Politik erläutert. Es gehe nicht darum, die Ursachen des jeweiligen Konflikts oder die vielfältigen territorialen Probleme zu untersuchen: «Ich wollte einfach nur so dicht wie möglich an den Männern, Frauen und Kindern dranbleiben, deren Überlebenswille eine Metapher für das Absolute ist, das mich am meisten bewegt: das menschliche Wesen.»
Grenze auch in diesem Sinn: «Ich versuchte, vom Alltag jener zu erzählen, die an der Grenze leben, die das Leben von der Hölle trennt.» Die Menschen in seinem Film sind nicht die Mächtigen, es sind die kleinen Leute, leidende Opfer der Ereignisse. «Der Film ist eine Ode an den Menschen inmitten der Finsternis des Krieges.»
Ohne Kommentare, nur fixe Einstellungen
Gianfranco Rosi war für seinen Film drei Jahre lang unterwegs. Er verzichtet vollständig auf irgendeine Form von Kommentar, alles ist in den Bildern selber. Man findet auch keinerlei Bewegung, der Film kommt durchgehend mit fixen Einstellungen aus. Und ein besonderer Effekt stellt sich ein: Wie bewegend statische Bilder aus der Wirklichkeit sein können.
Notturno
Regie: Gianfranco Rosi
I/F/D 2020, 100 Minuten
Ab Do, 23.9., im Kino