Film - Betrachtungen von Berglerwelten
Regisseur Bruno Moll gibt in seinem Dokumentarfilm «Alpsegen» Einblicke in mitunter eigensinnig und fremd anmutende Denk- und Lebenswelten.
Inhalt
Kulturtipp 07/2012
Urs Hangartner
Der Film «Alpsegen» ist kein musikethnografischer Beitrag zum Thema «Betruf» (ein anderes Wort für «Alpsegen»). Regisseur Bruno Moll porträtiert vielmehr Menschen, die alle den Betruf praktizieren – in fünf Schweizer Berggegenden.
Zwischen Appenzell und Entlebuch lassen sie bei der Abenddämmerung ihre Bitten um Verschonung von Unheil durch den hölzernen Milchtrichter schallen. Sei es, weil sie an die Macht des ...
Der Film «Alpsegen» ist kein musikethnografischer Beitrag zum Thema «Betruf» (ein anderes Wort für «Alpsegen»). Regisseur Bruno Moll porträtiert vielmehr Menschen, die alle den Betruf praktizieren – in fünf Schweizer Berggegenden.
Zwischen Appenzell und Entlebuch lassen sie bei der Abenddämmerung ihre Bitten um Verschonung von Unheil durch den hölzernen Milchtrichter schallen. Sei es, weil sie an die Macht des göttlichen Beistands und an die Hilfe der Heiligen glauben. Sei es, weil «man» es halt auf der Alp von alters her so macht. Der Alpsegen ist religiöse Musikfolklore, ein Phänomen des Volksglaubens, der sich im archaischen Betrufen manifestiert.
Der Bündner Senn aus der Surselva hat den katholischen Brauch von Luzernern gelernt («Der Betruf hat für mich keine grosse Bedeutung»). Der junge, gepiercte Urner auf der Fellialp übt den Brauch aus, obwohl er sich, jedenfalls im kirchlichen Sinn, als nicht-gläubig bezeichnet. Eine seiner Devisen: «Einmal Bergler, immer Bergler.» Und natürlich hat er selber einen «Stierengrind», nicht umsonst zeige das Urner Wappen einen solchen.
«Beharrlich beten»
Franz Ambauen geht seit sechs Jahrzehnten auf die Alp am Buochserhorn NW. Sein elektrizitätsfreies Anwesen auf Arhölzli teilt er mit seiner Frau Rosa, mit der er seit je zusammen ist. Beide haben sich vor Urzeiten auf der Alp kennengelernt. Ambauen sagt: «Der Betruf gibt einem ein wenig Kraft.» Damit er allerdings wirkt, müsse man «etwas beharrlich beten». Sodass es ihm, seiner Frau und den störrischen Ziegen wohlergehe.
Eins mit der Natur
Die Spirituellste unter allen ist Mina Inauen aus Appenzell Innerrhoden. Sie scheint harmonisch eins zu sein mit der sie umgebenden Bergnatur. Gerne hockt sie sich hin, um «die Welt zu betrachten und etwas zu staunen». Das Leben hier genügt ihr vollauf. «Ich bin froh, wenn ich nicht weg muss. Das hier ist viel mehr als Ferien.»
Der Entlebucher Josef Brun ist «normal gläubig» und der Meinung, «es gibt sicher eine Schöpfung». Der Viehzüchter, der vor 48 Jahren sein erstes Kalb kaufte, waltet sommers droben auf dem Bramboden, der zur Gemeinde Romoos LU (siehe «Die Kinder vom Napf») gehört. Der geschäftstüchtige Bauer ist heimatverbunden, selbst wenn es um die Ferien geht: Ein einziges Mal überhaupt war er mit seiner Familie in Spanien – dank eines Wettbewerbgewinns. Sonst wären sie nie ins Ausland gekommen. Was er im Umgang mit den Tieren pflegt, ist der grosse Respekt: «Ich behandle die Kühe nur mit Liebe, ganz ohne Stecken.»
Im Film «Alpsegen» gibt der Solothurner Regisseur Bruno Moll (zuletzt «Pizza Bethlehem») schöne Einblicke in Lebenswelten, die vielen fremd sein mögen. Und er vermittelt eigensinnige Denkarten sowie überraschende Weisheiten, die sich aus dem Leben fernab der Betriebsamkeit im Unterland speisen.