«Ihn» sieht man nie, «er» ist nur durch die Wand oder durchs Telefon zu hören. Einen Namen hat er nicht. Und doch ist er allgegenwärtig, auch wenn er abwesend ist. «Er», das ist der mächtige Chef einer offenbar bedeutenden Filmproduktionsfirma im New Yorker Stadtteil Manhattan.
Jane ist als Sekretärin seit fünf Wochen in seiner Firma tätig. Gewissenhaft ist sie am Morgen die Erste und am Abend die Letzte im Büro. Sie telefoniert, mailt, organisiert Termine, kocht Kaffee, wäscht ab, verteilt die Mittagessen, kopiert, scannt. Und sie putzt, wenn das Chefbüro verwaist ist. Als sie eines Tages beim Sofa einen Ohrring findet, ist klar: Dies ist eine Besetzungscouch und Jane gewissermassen die «Tatortreinigerin». Unweigerlich denkt man an Harvey Weinstein und #MeToo.
Schliesslich herrscht in diesem Büro auch ein diffuses Klima der Angst und der Bedrückung. Janes zwei Kollegen verhalten sich ihr gegenüber gönnerhaft herablassend. Sie scheinen ohnmächtig der Macht des Chefs gegenüber, üben sich in Komplizenschaft und pflegen die Kultur des Verschweigens. Eine Atmosphäre von geradezu kafkaesker Beklemmung ist spürbar, voller Andeutungen und Ahnungen.
«The Assistant» kommt ohne Musik aus. Auf der Tonspur zu hören sind Tastaturklappern, Stimmengewirr, Rauschen. Die Bilder sind ausgewaschen und farbenarm in streng gestalteten Szenen.
Für ihr Spielfilmdebüt hat die 35-jährige australische Regisseurin Kitty Green rund 100 Interviews mit Frauen geführt, darunter auch mit ehemaligen Angestellten von Harvey Weinstein. Die unzähligen traurigen Geschichten, die ihr dabei zu Ohren kamen, hat sie zu «The Assistant» verdichtet in der Figur von Jane und der Erzählzeit von einem einzigen Tag. Es sei «ein Film über Gesten, Blicke und winzige Momente», hat Green erklärt. Es muss nicht immer alles gezeigt werden, um etwas klar zu machen. Das beweist die beklemmende Bürowelt, die sie in ihrem Film geschaffen hat.
The Assistant
Regie: Kitty Green
Ab Do, 22.10., im Kino