Sie wird 1948 für den Literaturnobelpreis nominiert werden und 1954 als erst zweite Frau in der französischen Geschichte nach Sarah Bernhardt ein Staatsbegräbnis erhalten. Der Film «Colette» endet viel früher, lange vor den Jahren des Ruhms und des Erfolgs der freigeistigen Künstlerin, die zu den bekanntesten Schriftstellerinnen Frankreichs gehörte. Er endet just zu jenem Zeitpunkt, an dem sich die Protagonistin von ihrem Ehemann und literarischen Ausbeuter emanzipiert und zur «femme libérée» wird.
Alles nimmt seinen Anfang auf dem Land, im Dorf Saint-Sauveur im Burgund. Hier besucht der um einige Jahre ältere Henry Gauthier-Villars (Dominic West) die 19-jährige Sidonie-Gabrielle Colette. Man trifft sich heimlich im Stroh, bald wird geheiratet, und man verkehrt in der feinen Pariser Gesellschaft. Er gilt unter dem Namen Willy als kulturelle Grösse, als «Literaturunternehmer», Kritiker, Verleger, Autor. Das heisst: Er lässt für sich schreiben. Doch der notorische Schwerenöter hat Geldprobleme. Die Frauen kosten, aber auch sonst lebt er über seine Verhältnisse: Restaurant-Besuche, Pferderennen, Casino.
Ein erfolgreiches Buch könnte helfen, die Geldprobleme zu lösen. Gabrielle soll es schreiben. So entsteht der erste halbautobiografische Roman um die Figur Claudine. Nur: Als Autor firmiert Willy. Es kommt zu einem regelrechten «Claudine»-Hype. Ganz Paris liest das Buch, und die Merchandising-Maschinerie läuft: Es gibt Parfüms, Bonbons, Seifen. Willy schenkt seiner Frau ein herrschaftliches Landhaus. Hier sperrt er sie einmal in ihr Zimmer und befiehlt: «Schreib!» Sie tut, wie ihr geheissen. Drei weitere Romane folgen.
Ein gelungenes Zeit- und Sittenbild
Treue ist nicht die Tugend der beiden. In einem Fall kommt es gar zu einer Ménage-à-trois. Ohne dass die Eheleute davon wüssten, gehen sie mit der gleichen Frau ins Bett. Schliesslich die Scheidung. Sie verfolgt eine Theater- und Tanzkarriere und sorgt auf der Bühne mit einem Kuss zwischen ihr und ihrer Geliebten Mathilde de Morny alias Missy (Denise Gough) für einen Skandal. Und sie schreibt weiter, unter eigenem Namen – aus Gabrielle wird Colette.
Der Film erzählt von Abhängigkeit, Ausbeutung und schliesslich einer befreienden menschlichen und künstlerischen Emanzipation. Keira Knightley brilliert in der Titelrolle und trägt die Entwicklung der Figur über mehrere Jahre bravourös. «Colette» ist auch ein gelungenes Zeit- und Sittenbild der Belle Époque. Etwas gewöhnungsbedürftig: Colette schreibt ihre Texte in schöner Handschrift auf Französisch. Gesprochen wird im Film allerdings britisch-englisch …
Der Stoff hat den englischen Regisseur Wash Westmoreland («Still Alice») über lange Zeit beschäftigt. Das Drehbuch hat er zusammen mit seinem 2015 verstorbenen Ehemann Richard Glatzer und mit der englischen Theaterautorin Rebecca Lenkiewicz verfasst. Gedreht wurden die Pariser Szenen des Fin de Siècle zu einem schönen Teil in Budapest.
Colette
Regie: Wash Westmoreland
Ab Do, 3.1., im Kino