Film - Anna Karenina: Eine tragische Roman- und Leinwandheldin
Leo Tolstois Roman einer tragisch Liebenden ist ein gern gesehener Filmstoff. Die jüngste Version mit Keira Knightley setzt auf eine ungewöhnliche theatralische Künstlichkeit.
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Kulturtipp 25/2012
Urs Hangartner
In der Filmgeschichte ist «Anna Karenina» seit jeher ein Thema. Adaptionen für die Leinwand gibt es seit 1910, bis heute ist Leo Tolstois grosser Roman von 1878 mindestens 25 Mal verfilmt worden. 1927 verkörpert die schwedische Filmdiva Greta Garbo die tragisch liebende Titelfigur ein erstes Mal – noch ohne Tonspur. Die Hollywood-Produktion, laut der Filmgeschichte eine «ziemlich verwässerte» Version des Romans, hiess im Original nicht «Anna ...
In der Filmgeschichte ist «Anna Karenina» seit jeher ein Thema. Adaptionen für die Leinwand gibt es seit 1910, bis heute ist Leo Tolstois grosser Roman von 1878 mindestens 25 Mal verfilmt worden. 1927 verkörpert die schwedische Filmdiva Greta Garbo die tragisch liebende Titelfigur ein erstes Mal – noch ohne Tonspur. Die Hollywood-Produktion, laut der Filmgeschichte eine «ziemlich verwässerte» Version des Romans, hiess im Original nicht «Anna Karenina», sondern kam als «Love» in die Kinos.
Garbo, die First Lady
Die Produktion mit Greta Garbo kam durch eine Würdigung von Joseph Goebbels zu zweifelhaften Ehren: Der deutsche Minister für Volksaufklärung und Propaganda sprach 1933 in einer Rede vor versammelten Filmleuten über Filmkunst und nannte Werke, die als Vorbilder für die künftige deutsche Filmproduktion gelten sollten. Auf Goebbels’ Platz zwei lag «Love» beziehungsweise «Anna Karenina». Goebbels in seiner Rede: «Greta Garbo hat bewiesen, dass es eine ausgesprochene filmische Kunst gibt. Dieser Film ist kein Surrogat von Theater und Bühne. Es gibt eben eine eigene filmische Kunst.»
Greta Garbo hatte einen zweiten Filmauftritt als Anna: Der Tonfilm von 1935 (Regie: Clarence Brown) kam bei Publikum und Kritik relativ gut an. Allerdings konnte «Anna Karenina» lediglich in einer geglätteten Fassung auf die Leinwand gebracht werden. US-amerikanische Zensur-Einschränkungen zwängten den Film in ein moralisches Korsett. Auch hier, wie in fast allen Verfilmungen, ist vom vielstrangigen Erzählen Tolstois und der Psychologie der Figuren wenig erkennbar. Dafür: Viel Ausstattung, schöne Menschen in schönen Kostümen. Eine Beobachtung, die praktisch für alle Verfilmungen des Stoffs zutrifft. Damals lobte die «New York Times» nach der Premiere: «Garbo, die First Lady der Leinwand, sündigt, leidet und stirbt wunderschön in der neuen, geschickt in Szene gesetzten und verhältnismässig erwachsenen Version von Tolstois Klassiker.»
Weitere Prominenz
Vivien Leigh (die Scarlett O’Hara aus «Vom Winde verweht») ist eine weitere prominente Karenina-Darstellerin. Die britische Schauspielerin interpretierte die Titelheldin unter der Regie von Julien Duvivier, in einer Verfilmung, die von der Kritik als «schwülstig» taxiert wurde. Der vorletzte Versuch einer Tolstoi-Verfilmung stammt von Regisseur Bernard Rose. Die Hauptrolle des opulenten Kostümschinkens von 1997, am Originalschauplatz St. Petersburg gedreht, hatte der ehemalige Teenager-Star Sophie Marceau («La Boum»).
Der 1972 geborene englische Regisseur Joe Wright kann einschlägige Erfahrungen mit (geglückten) Literaturadaptionen aufweisen. In seinem Kinoerstling «Pride And Prejudice» («Stolz und Vorurteil») verfilmte er 2005 Jane Austens Roman. Vor fünf Jahren war Autor Ian McEwans «Atonement» («Abbitte») an der Reihe. In beiden Filmen war Keira Knightley in einer Hauptrolle zu sehen. Die heute 27-jährige Schauspielerin spielt in «Anna Karenina» (nach dem Drehbuch von Tom Stoppard) die Titelrolle.
Die jüngste «Anna Karenina»-Verfilmung setzt ganz auf theatralische Künstlichkeit. Im Vorfeld der Dreharbeiten hatte man schon alle Originalschauplätze besucht, als Regisseur Wright sich für etwas ganz anderes entschied: Er wollte nicht einfach einen Kostümfilm mehr inszenieren; seine «Anna Karenina» sollte zu einem Grossteil in einem Theater spielen. Im Studio baute man ein schönes, aber etwas heruntergekommenes Theater. Der Verputz an den Wänden blättert bereits ab. Hier spielen die Menschen ihre Rollen.
Die Szenerie im Film wandelt sich ständig: Das Theater wird zum Ballsaal, zur Oper, zur Pferderennbahn, zum Eisfeld und ganz zum Schluss zur blühenden Frühlingswiese. Die bessere russische Gesellschaft in St. Petersburg und Moskau orientierte sich im Jahr 1874 stark am Westen und pflegte eine französische Kultur. In dieser Welt begeht Anna Karenina ihren Fehltritt, den die Gesellschaft bestraft. Sie ist mit dem biederen Beamten Alexeji Karenin (für einmal ganz ungewohnt: Jude Law) verheiratet. Doch sie erfährt Verachtung, als sie mit Graf Wronskij (Aaron Taylor-John) ein Verhältnis eingeht. Anna zieht die Konsequenzen und wählt den Freitod.
Drehbuch reduziert
Drehbuchautor Tom Stoppard reduziert natürlich die umfangreiche Romanvorlage von Leo Tolstoi. Gleichzeitig lässt er aber etlichen Erzählsträngen Raum. So hat es hier Platz für die Geschichte von Kitty, der Schwägerin von Annas Bruder Fürst Oblonskij. Sie wird den Gutsbesitzer Lewin glücklich lieben können.