Film: An der Pflicht zerbrochen
Christian Schwochow bringt mit seinem Film «Deutschstunde» ein Schlüsselwerk der deutschen Nachkriegsliteratur ins Kino. Er reüssiert dank stimmiger Reduktion.
Inhalt
Kulturtipp 23/2019
Frank von Niederhäusern
Wie kann ein Zwölfjähriger derart finster in die Welt schauen? Siggi hat keinen Grund zum Lachen und bleibt meist stumm in seiner stumpfen Kindheit Mitte der 1940er an der deutschen Nordseeküste. Die Romanfigur aus Siegfried Lenz’ 1968 erschienener «Deutschstunde» hat wohl manchen Teenager zum Leser gemacht. Frappant nun die Wiederbegegnung im Kino, denn Levi Eisenblätter spielt den Siggi mit schaurigem Ernst.
Eine Freundschaft aufs...
Wie kann ein Zwölfjähriger derart finster in die Welt schauen? Siggi hat keinen Grund zum Lachen und bleibt meist stumm in seiner stumpfen Kindheit Mitte der 1940er an der deutschen Nordseeküste. Die Romanfigur aus Siegfried Lenz’ 1968 erschienener «Deutschstunde» hat wohl manchen Teenager zum Leser gemacht. Frappant nun die Wiederbegegnung im Kino, denn Levi Eisenblätter spielt den Siggi mit schaurigem Ernst.
Eine Freundschaft aufs Spiel gesetzt
Der Jungschauspieler aus Leipzig bewegt sich in einem Ensemble, das nicht nur grosse Namen trägt, sondern mit eindringlichem Spiel begeistert. Ulrich Noethen verkörpert Siggis Vater, den Dorfpolizisten Jens Ole, Tobias Moretti seinen Paten, den Kunstmaler Ludwig Nansen. Die lebenslange Freundschaft der beiden herben Friesen zerbricht an der Zeitgeschichte. «Aus der Hauptstadt» bekommt Polizist Jens Ole den Befehl, die Bilder des «entarteten» Nansen zu beschlagnahmen und ihn am weiteren Malen zu hindern. Der Polizist gehorcht der Pflicht und stürzt damit die friedliche Dorfgemeinschaft ins Verderben. Mittendrin Siggi, zwischen seinen Vorbildern hin- und hergerissen und für sein Leben traumatisiert. Trost findet er einzig bei seiner grossen Schwester Hilke (Maria Dragus).
Siegfried Lenz hat mit «Deutschstunde» den Nerv seiner Zeit getroffen. Zur Weltliteratur wurde sein Roman, weil er die novellenartige Geschichte zum universellen Stoff machte. Genau hier hakt Christian Schwochow ein, der mit «Bornholmer Strasse» (2014) und «Paula» (2016) auf sich aufmerksam machte. Er reduziert den grossen Roman auf gleichsam zeitlos schwebende Szenen von sperriger Lakonie. Diese packt er in grandios-expressive Bilder ähnlich jenen des Malers Nansen, der dem Expressionisten Emil Nolde nachempfunden ist.
Jahre später wird Siggi über seine Kindheit schreiben. Auch diese Rahmenhandlung adaptiert Schwochow stimmig mittels motivischer Klammern wie Wind und Wasser. Sein Film ist eine kraftvolle Parabel über die Gefahren blinder Pflichterfüllung, die sich immun zeigt gegen jegliche Vernunft. Ein Phänomen, das nicht nur in ignoranten Diktaturen grassiert, sondern zunehmend auch Demokratien bedroht.
Deutschstunde
Regie: Christian Schwochow
Ab Do, 7.11., im Kino