Film - Alltag hinter Gittern
Der Dokumentarfilm «Thorberg» von Dieter Fahrer bietet Einblicke in eine Welt, die für gewöhnlich buchstäblich verschlossen bleibt. Das Publikum lernt Einzelschicksale kennen – und Gefängnisalltag.
Inhalt
Kulturtipp 18/2012
Urs Hangartner
Die Strafanstalt Thorberg im Emmental. Hier sitzen die schweren Jungs ein, 180 Häftlinge aus über 40 Nationen. Der Berner Dokumentarfilmer Dieter Fahrer hat die Anstalt über mehrere Monate mit der Kamera besucht und gewährt Einblicke in die Gefängniswelt. Er hat eine bemerkenswert grosse Nähe zu einigen der Insassen aufbauen können. Das erlaubt dem Publikum die individuellen Innenansichten in eine Welt, zu der man von aussen normalerweise keinen Zugang finde...
Die Strafanstalt Thorberg im Emmental. Hier sitzen die schweren Jungs ein, 180 Häftlinge aus über 40 Nationen. Der Berner Dokumentarfilmer Dieter Fahrer hat die Anstalt über mehrere Monate mit der Kamera besucht und gewährt Einblicke in die Gefängniswelt. Er hat eine bemerkenswert grosse Nähe zu einigen der Insassen aufbauen können. Das erlaubt dem Publikum die individuellen Innenansichten in eine Welt, zu der man von aussen normalerweise keinen Zugang finden kann. Dieter Fahrers Blicke hinter die Gefängnismauern sind berührend und von entwaffnender Ehrlichkeit.
Am Anfang wird ein Neuankömmling eingeliefert. Mit erstaunlicher Offenheit berichtet der junge Schweizer Luca, warum er für 14 Jahre ins Gefängnis muss: Er ist hier «wegen dem Auftragsmörderding», wie er sagt. Luca kennt den strafmindernden juristischen Begriff «infantile Teilschuldunfähigkeit», die man ihm attestierte. Lucas Aufenthalt in Thorberg ist relativ kurz. Eines Tages rastet er aus, es kommt zu einer Schlägerei in der Zelle, und Luca erhält Einzelarrest. Er wird isoliert und hält sich allein in einem Raubtierkäfig-ähnlichen Gehege auf dem Gefängnisdach fit. Am Schluss wird man von Lucas Versetzung in eine psychiatrische Sicherheitsabteilung erfahren.
Eigenes Leben verwirkt
Luca ist eine nüchterne Erkenntnis gekommen, die er mit einer gewissen Bitterkeit in die Kamera spricht: «Ich habe das eigene Leben verwirkt. Sich umbringen ist keine Option – ich bin ja schon so gut wie tot.»
Luca ist ein Schicksal von insgesamt sieben, die der Filme einem näher bringt. «Ich hatte vielleicht keine andere Wahl, als kriminell zu werden», sagt Janis aus Lettland, zu 15 Jahren verurteilt. Zehn davon sitzt er schon in Thorberg. Andere Gefängnisgenossen sind Andrij aus der Ukraine, Ismet aus der Türkei oder Maiga von der Elfenbeinküste.
Der Gefängnisalltag in Thorberg will so gar nicht den Vorstellungen von modernem Strafvollzug entsprechen. Zwar dürfen die Thorberg-Gefangenen Fernseher und Computer (natürlich ohne Internet-Anschluss) benutzen und beschränkt im Festnetz telefonieren. Eine Turnhalle für sportliche Betätigungen gibt es ebenso wenig wie einen gemeinsamen Esssaal. Eine Berufsausbildung im Gefängnis ist in Thorberg nicht möglich. Die Gefangenen dürfen täglich eine Stunde im Hof spazieren. Übers Wochenende werden sie pro Tag für 19 Stunden in ihren Zellen eingeschlossen.
Eine Ausstellung
Regisseur Dieter Fahrer hat mit seinem Team zudem 18 kurze Filmporträts von Thorberg-Gefangenen geschaffen. Das Museum für Kommunikation in Bern zeigt die Filme integriert in einer Installation von sechs in Originalgrösse nachgebauten Gefängniszellen. Jede misst 8,5 Quadratmeter. Der Versuch, dem Museumspublikum «draussen» ein Stück der verschlossenen, isolierten Welt von «drinnen» zu vermitteln.