Am Anfang treiben sie eine Sau durch die Strassen der Stadt. Der junge Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali), der soeben im anatolischen Yaniklar eintrifft, beobachtet die Szenerie und bemerkt die blutige Spur, die der Kadaver hinterlässt. Dass da wie wild in die Luft geschossen wird, will er als Vergehen ahnden. Aber, so erklären ihm Einheimische bei ihrem Willkommensbesuch, das sei der Brauch hier. Doch Emre sagt: «Es ist verboten, in einer Wohngegend in die Luft zu schiessen.»
Wassermangel und seltsame Krater
Emre ist aus Ankara gekommen, weil sein Vorgänger vorzeitig den Bettel hingeschmissen hat. Was war geschehen? Es geht um Wasser, das fehlt. Und rund um die Stadt in der dürren Landschaft ist das Phänomen von seltsamen Kratern zu beobachten. Sie haben etwas mit Grundwasser zu tun, diese riesigen Dolinen oder Senklöcher. Diese stehen als Klammer am Anfang und ganz am Schluss des Films: Bilder für die physischen und psychischen Abgründe.
Welche Erinnerungen sind eigentlich wahr?
Eine beklemmende Atmosphäre herrscht vor. In Emres Haus kommt kein Wasser aus dem Hahn. Ein Junge bringt Rattengift vorbei. Stadthonoratioren laden den Neuankömmling zu einem Fest ein, zum Ess- und Saufgelage mit viel Raki. Sind auch Drogen mit im Spiel? Jedenfalls ist da noch die traurige Geschichte des jungen Roma-Mädchens, das an diesem Abend vergewaltigt und übel zugerichtet wird. War Emre beteiligt? Was ist wahr, was eingebildet von dem, woran er sich wiederholt in Fragmenten erinnert? Schliesslich die Beziehung zum oppositionellen Journalisten Murat (Ekin Koç) mit geheimnisvoller Vergangenheit: War da was in Sachen Homoerotik? Richterin Zeynep wird es gegenüber Emre einmal so formulieren: «Sie haben die Stadt durchgerüttelt.» Doch der junge Staatsanwalt wird im konkreten Fall der Neuwahlen eines populistischen Bürgermeisters wohl keine Klarheit finden. So wie vieles im Vagen bleiben muss, nur in Andeutungen erscheint, als Gerücht kursiert.
Ibsens «Ein Volksfeind» als Vorbild
Der 1974 in Zentralanatolien geborene Regisseur und Drehbuchautor Emin Alper nennt das Bühnenstück «Ein Volksfeind » (1882) von Henrik Ibsen als eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen für den Film. An seinem Schauplatz, der fiktiven Stadt Yaniklar, wollte er «einen Mikrokosmos der Türkei entwerfen ». Doch was hier in Anatolien passiert, könnte geradeso gut auch anderswo geschehen. In diesem Sinne versteht Alper seinen Film auch universell. Überall gebe es korrupte Lokalpolitiker, wie sie in «Burning Days» agieren. Zu seinem Film meint er auch: «Dies ist keine Geschichte über Gut und Böse, sondern über ‹weniger Gut und Böse›. Das rein Gute gibt es nur im Märchen.» Was sich an Verstörendem in seinem Film abspielt, bewegt sich im Uneindeutigen. Das betrifft Handlungen wie ambivalent- dubiose Figuren. Was sicher ist: In «Burning Days», irgendwo zwischen Western, Politthriller und Gesellschaftsdrama, bleibt es spannend bis zum Schluss – jenseits von Gut und Böse.
Burning Days (Kurak Günler)
Regie: Emin Alper
Türkei 2022, 129 Minuten
Ab Do, 20.10., im Kino