«Haben Sie wieder davon geträumt?», flüstert eine unheilvolle Stimme, während man in das vernarbte Gesicht einer Holzfigur blickt. Der Trailer zu «Moby Dick» des norwegisch-französischen Künstlerkollektivs Plexus Polaire verspricht grosses Kino: Pathos, Schauder und Drama. «Moby Dick» ist denn das Eröffnungsstück des Figura Theaterfestivals. Auch die 15. Ausgabe der Biennale für Bilder-, Objekt- und Figurentheater in Baden richtet sich mehrheitlich an ein erwachsenes Publikum und findet an den unterschiedlichsten Spielorten statt.
Nicht weniger als 50 Puppen, sieben Spieler und drei Livemusikerinnen erzählen in «Moby Dick» die berühmte Geschichte aus der Feder des US-amerikanischen Autors Herman Melville (1819–1891), in der ein Kapitän einem weissen Wal bis zum eigenen bitteren Ende nachjagt.
Keine Adaption, sondern eine visuelle Übersetzung
«Unser Stück ist keine direkte Adaption des Buchs, sondern vielmehr eine visuelle Übersetzung davon», sagt Yngvild Aspeli, die künstlerische Leiterin von Plexus Polaire. «Mich interessiert die Macht einer Geschichte, die Wichtigkeit von Narrativen sowohl für das individuelle wie auch für das kollektive Verständnis der Welt.» Die Frage, warum ein Buch wie «Moby Dick» zu einem Klassiker geworden sei, treibe sie um. Sie glaube, dass «Moby Dick» über die Jahrhunderte nie an Faszination eingebüsst habe, weil die Erzählung etwas zutiefst Menschliches berühre. «Melville gelingt es, komplexe philosophische Fragen auf eine Art und Weise zugänglich zu machen, wie es nur eine gute Geschichte zu tun vermag», erläutert Aspeli.
Mit «Frankenstein» oder «Mac-beth muet» stehen weitere Klassiker auf dem Programm. Eveline Gfeller, die das Festival gemeinsam mit Irène Howald leitet, sagt, es gebe keinen speziellen Fokus, Klassiker hätten am Festival schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Man habe aber das Verständnis, was Figurentheater alles sein könne, laufend ausgeweitet. In vielen Produktio-nen würde das Medium Film bemüht, und nebst Puppen werden auch Objekte und Bilder benutzt.
Von Melville bis zu Shakespeare
Das Thema Inklusion ist der Festivalleitung wichtig. So wird es etwa bei «Moby Dick» Audiodeskriptionen geben, die es auch blinden Menschen erlauben, dem Stück zu folgen. Gfeller, die in Bern Theaterwissenschaft studiert hat, entdeckte ihre Liebe für das Figurentheater, als sie das Stück «Der kleine Herr Winterstein» im Berner Schlachthaus Theater sah. Es geht dort um einen jüdischen Geiger, der das Publikum ins Berlin der 1940er-Jahre entführt. «Die Geschichte hat mich zu Tränen gerührt», so Gfeller, die glaubt, dass Figuren manchmal einen noch direkteren Kanal zum Publikum haben als Schauspieler aus Fleisch und Blut. In «Moby Dick» stehen Puppen, Schauspielerinnen und Schauspieler gemeinsam auf der Bühne. «Die Beziehung zwischen ihnen ist zentral für die Dramaturgie unseres Stücks», so die Regisseurin. Die verschiedenen Grössenverhältnisse erlaubten es, regelrecht kinematografische Situationen heraufzubeschwören, in denen die Dimension des Kampfs zwischen Mensch und Natur drastisch sichtbar würde. Die Puppe des Kapitäns Ahab ist sogar grösser als lebensgross und muss gleich von mehreren Spielern bewegt werden.
Die mobile Truppe La Fille du Laitier aus Montreal präsentiert mit «Macbeth muet» eine Adaption von Shakespeares Tragödie «Macbeth», in der ein König zum Mörder wird.
Die künstlerische Leiterin Marie-Hélène Bélanger Dumas hat das Stück gemeinsam mit Regisseur Jon Lachlan Stewart entwickelt, der bereits mit 17 Jahren alle Stücke von Shakespeare gelesen habe, wie sie verrät. Er sei es gewesen, der ihr die Faszination für Shakespeare vermitteln konnte. «Unser Stück ist aus dem Zusammenprall der Visionen einer Französischsprachigen, die das Stück durch neue Augen entdeckte, und eines englischsprachigen Ultrafans von Shakespeare entstanden.» In «Macbeth» gehe es um Krieg, Politik, Sex, Magie und Machthunger.
Gesten, Blicke und Bilder anstelle von Dialogen
Ein Puppenspieler und eine Puppenspielerin stellen dabei Macbeth und dessen intrigante Lady Macbeth dar. Beide manipulieren – im wahrsten Sinne des Wortes – den Rest der Inszenierung und schlüpfen dabei in unterschiedlichste Rollen. Es kämen praktisch alle Szenen des Originals im Schnelldurchlauf vor, so Bélanger Dumas. Und da diese Produktion «muet» – also «stumm» – ist, setzen die Spielerinnen und Spieler auf Gesten, Blicke und starke Bilder. «Unser Stück wechselt zwischen Action und schwarzem Humor, wobei sich die Tragik stets in unerwarteten Momenten offenbart.»
Figura Theaterfestival
Di, 21.6.–So, 26.6. Diverse Orte in Baden AG
www.figura-festival.ch