Kann das gut gehen, fragt sich die Klassikwelt besorgt und diskutiert seit Wochen heftig über die Karriere des 28-jährigen Dirigenten Klaus Mäkelä. Sein rascher Aufstieg ist sagenhaft, bald wird er wohl der mächtigste Dirigent sein.
Schon im Jahr 2020 wurde Mäkelä Chefdirigent der Osloer Philharmoniker, und seit 2021 ist der Finne Musikdirektor des Orchestre de Paris. Doch das Beste kommt erst noch: 2027 wird er mit 31 Jahren als Chefdirigent das Concertgebouw-Orchester Amsterdam übernehmen.
Eine grosse Herausforderung, denn im selben Jahr wird Mäkelä auch noch Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra. Das ist eines der sogenannten «Big Five»-Orchester Amerikas. Er übernimmt nach Riccardo Muti, Daniel Barenboim und Georg Solti. Allesamt Legenden. Und ihnen wird ein zu diesem Zeitpunkt 31-Jähriger folgen?
Heftige Kritik schlägt Mäkelä entgegen. Aber vor dem Händeverwerfen und den «Warum!?»- Rufen kann man auch einfach fragen: Warum nicht?
Geschickt und unglaublich schnell
Der Finne schien erst eine Cellisten-Karriere einzuschlagen, studierte dann aber beim berühmten Dirigentenmacher Jorma Panula und feierte bald Erfolge: Alle wollten ihn haben, den sagenhaften Jungdirigenten. Geschickt und unglaublich schnell ging er Schritt für Schritt, besuchte Orchester um Orchester und spielte für das Label Decca Aufnahmen ein. Seine weltberühmte Agentur Harrison Parrott verhalt ihm zum Aufstieg, ja, es war ein weiteres, vielleicht letztes Meisterwerk des Agenturgründers Jasper Parrott. Der 80-Jährige spürte: Mäkelä wird gross. Und so machte er alles für ihn.
Sol Gabetta ist voll des Lobes
Der Weg führt im Sommer auch vor das Lucerne Festival Ochestra. Dort dirigierte Klaus Mäkelä schon im letzten Sommer zweimal. Mit dabei war auch Pianistin Yuja Wang – damals noch Mäkeläs Partnerin. Nun haben sich ihre Wege getrennt, und sie suchen jeweils einen Bühnenersatz: In Chicago sprang vor Kurzem Sol Gabetta ein, die voll des Lobes über den jungen Dirigenten ist.
Die «Chicago Sun-Times» hingegen fragte in ihrer Kritik: «Kann der Dirigent in Zukunft das elitäre Spielniveau des Orchesters halten und darauf aufbauen? Kann er das hohe Mass an interpretatorischen Nuancen mitbringen, das von einem Musikdirektor erwartet wird? Kann er dem Orchester den Ton und die Richtung vorgeben? Kann er ein neues, vor allem jüngeres Publikum anziehen?»
Los Angeles zeigte es mit Gustavo Dudamel vor
Wer Mäkelä im Konzert erlebt, wird jedenfalls einen Teil der zahlreichen Fragen mit «Ja» beantworten. Der Finne ist ein Charismatiker, der nie übertreibt. Seine Geste ist ruhig, aber sehr klar, seine Mimik verrät, wie er bereits jetzt die Musik geniessen kann. Das ist selten. Da steht ein Musiker, kein Dompteur – man merkt ihm sein Cellisten-Dasein an. Erstaunlich viele grosse Dirigenten waren Cellisten, Kaliber wie Arturo Toscanini und Nikolaus Harnoncourt. Und dass da ein Finne hervorsticht, verwundert nicht: Die Finnen schaffen es immer wieder, grosse Dirigenten hervorzubringen.
Einer der berühmtesten ist Esa-Pekka Salonen (* 1958), er wurde mit 31 Jahren Musikdirektor des Los Angeles Philharmonic. Niemand wusste damals, wie er sich entwickeln würde.
Die Wahl eines Chefdirigenten ist immer heikel. Ein Teil des künstlerischen Erfolgs ist die Wirkung aufs Publikum und somit die Auslastung des Saals. Und mit der Verpflichtung eines Jungdirigenten erhofft sich die Orchesterführung, gleichaltrige – oder besser noch jüngere – Menschen dazu zu bewegen, in den Konzertsaal zu kommen. Nicht nur San Francisco, auch Los Angeles zeigte 2009 mit dem damals 28-jährigen Gustavo Dudamel vor, wie es gehen könnte.
Vier Orchester – ein Dirigent
Doch es ist nicht bloss das Alter, weswegen Mäkelä kritisiert wird, sondern der Fakt, dass er bald statt einem gleich vier Orchestern vorsteht. Und selbst wenn er Oslo abgibt, bleiben mit Paris, Amsterdam und Chicago drei aus der Welt-Top-Ten. Das ist künstlerisch und menschlich eine riesige Verantwortung: 10 bis 14 Wochen Präsenzzeit, die Programmation und die Mitbestimmung bei neuen Musikern sind nur ein Teil der Pflichten. In Amerika steht der Chefdirigent zudem auch explizit dafür ein, privates Geld einzutreiben.
Schon 2006 gab es eine Diskussion um die in Italien «Baby-Dirigenten» genannten Jungstars, die damals grosse Häuser zu prägen schienen. Im Zentrum standen Gustavo Dudamel (* 1981), Daniel Harding (*1975) und Robin Ticciati (*1983). Alle drei haben Karriere gemacht. Dudamel steht glänzend da, nach Los Angeles wird er 2026 Chefdirigent der New York Philharmoniker.
Ticciati und Harding hingegen dirigierten zwar überall, aber ihre Chefpositionen waren mit einer kurzen Ausnahme nie bei Spitzenorchestern. Vor fünf Jahren liess sich Harding zum Air-France-Piloten ausbilden. Ob das Abheben im Cockpit leichter fällt als vor Orchestern? Wohin wird Mäkeläs Weg führen?
Der Kritiker der «Chicago Sun-Times» antwortete auf seine bangen Fragen bezüglich Zukunft des Orchesters und des Jungstars nach dem ersten Konzert: «Es wird noch Jahre dauern, bis Mäkelä diese Fragen vollständig beantworten kann. Aber der erste Abend war ein sehr guter Start zu einer hoffentlich langen, fruchtbaren und erfüllenden musikalischen Reise.»
Klaus Mäkelä in Verbier und Luzern
Die Schweizer Klassikfans können sich freuen: Klaus Mäkelä tritt im Sommer viermal in der Schweiz auf.
Am Verbier Festival spielt er als Cellist zusammen mit Lahav Shani (Klavier) und Spitzengeiger Leonidas Kavakos das Tripelkonzert von Ludwig van Beethoven – Simon Rattle dirigiert. Am 1. August führt Mäkelä mit dem Verbier Festival Orchestra Mahlers 5. Sinfonie auf. Anstelle von Yuja Wang spielt David Fray ein Bach-Konzert.
Später ist Mäkelä am Lucerne Festival: Am 17. August dirigiert er im KKL das Lucerne Festival Orchestra, am 5. September das Orchestre de Paris.
Verbier Festival
Do, 18.7.–So, 4.8.
www.verbierfestival.com
Lucerne Sommer-Festival
Di, 13.8.–So, 15.9.
www.lucernefestival.ch