Nach sechs Ausgaben, die der künstlerische Leiter Johannes Rühl verantwortet hatte, prägt nun erstmals die neue künstlerische Doppelleitung das mehrtägige Festival in Altdorf. Barbara Betschart und Graziella Contratto sind mit Jahrgang 1966 gleich alt und kennen sich seit ihrer Jugendzeit in Schwyz, wo sie aufgewachsen sind.
Neben vielen Gemeinsamkeiten hat das neue Duo auch Eigenheiten, die sich ergänzen. Beide sind Musikerinnen, Performerinnen und Kuratorinnen und bringen nebst künstlerisch-musikalischen auch Erfahrungen als Musikvermittlerinnen beim Festival ein. «Es war unser Wunsch, unsere Visionen mit dem Publikum zu teilen und eine breite Palette von Alpenmusik zu zeigen», sagt Barbara Betschart. «Die diesjährige Alpentöne-Ausgabe gemeinsam gestalten zu dürfen, ist für uns ebenso aufregend wie irgendwie logisch.»
Die eine ist Dirigentin, die andere Geigerin
Betschart sei die geborene Vermittlerin zwischen verschiedenen Stilen, sagt Graziella Contratto. «Ich persönlich mag es, in einer Kuratierung den Ort, die Menschen und die Klänge mit verschiedenen Künsten in einen Kontext zu bringen. Alpentöne im charismatischen Kanton Uri auf der Nord-Süd-Achse bietet dafür unzählige Anknüpfungspunkte.» Als Dirigentin, festivalerprobte Dramaturgin und Leiterin des Fachbereichs Musik an der Hochschule der Künste Bern (HKB) steuert Contratto vor allem die Programmpunkte in den Bereichen Klassik, Sound-Arts und transdisziplinäre Ideen bei.
Tradition und experimentelle Formate
Die Geigerin Barbara Betschart dagegen kennt die Volksmusik in all ihren Facetten besonders gut. Als Geschäftsführerin des Roothuus Gonten, des Zentrums für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik, ist sie auch mit der Erforschung von uralten Weisen und Traditionen vertraut.
Graziella Contratto charakterisiert Alpentöne als eine «spannende Mischung zwischen Volksnähe und experimenteller Verrücktheit, zwischen Traditionsbezug und neuen, offenen Formaten». Dieses Profil verfolgen die neuen Leiterinnen weiter. Es gibt weiterhin die jungen und einheimischen Töne, die verschiedenen Spielorte vom Theater Uri über das Cinema Leuzinger bis zur Pfarrkirche, den Klangspaziergang im Reussdelta, beliebte Ensembles der Neuen Volksmusik oder ein Forschungssymposium, organisiert von der Hochschule Luzern.
Etwas weiter gehen die beiden Leiterinnen in Sachen Inklusion, Teilhabe und junge Musik. Zu den neuen Akzenten gehört der Programmbereich Sound-Arts, an dem sich Studenten der Hochschule der Künste Bern mit Performances, Installationen und Forschungsprojekten beteiligen können. Unter dem neuen Programmpunkt Familienalpentöne können Jung und Alt im Kulturkloster Altdorf und in seinem Garten eine klingende Stationenreise erleben. Nicht zuletzt leben die Alpentöne auch dieses Jahr von Auftragswerken und Uraufführungen aus verschiedenen Epochen, Stilen und Kulturen.
Einen besonderen Eckpunkt im diesjährigen Programm bildet das Gastland Österreich. «Unser Nachbarland gehört zu den musikalisch reichhaltigsten Regionen des Alpenraums», betont Barbara Betschart. «Es ist eine durch und durch authentische Musik in vielen Besetzungen, die auch von der Nähe zum Balkan lebt und diesem sagenhaften Wortwitz, gepaart mit leiser Melancholie.»
Breites Spektrum aus dem Gastland Österreich
Das Spektrum der österreichischen Formationen trifft jeden Geschmack: Die Sängerin Agnes Palmisano singt alte Wiener Lieder und belebt den «Wiener Dudler» neu. Und Karl Markovics tritt mit den «oö. Concert-Schrammlern» auf. Das Quartett Klakradl aus Kärnten bringt seine Mischung von Jazz mit Worldmusic und Bodenständigkeit nach Altdorf. Simon Zöchbauer gibt Einblicke in seine Beschäftigung mit sakraler Musik und spirituellen Texten. Der Maultrommelvirtuose, Stimmakrobat und Wortspieldichter Albin Paulus aus Wien ergründet in seinem Soloprogramm «pur» den Ursprung des musikalischen Klangs. Schliesslich stellen Studenten der Universität Mozarteum Salzburg und der Hochschule Luzern ein Konzertprogramm vor, für das sie Stücke aus den beiden Heimatländern arrangiert und gemeinsam geprobt haben.
Alpentöne
Do, 12.8.–So, 15.8., diverse Orte Altdorf
www.alpentoene.ch
Vier Programm-Höhepunkte
Die 7. Jahreszeit
Zur Festivaleröffnung gleich eine Uraufführung: Drei findige Köpfe der Schweizer Jazzszene haben sich alte Kinderlieder vorgenommen und bringen sie mit Kindern auf die Bühne. Ein halbes Jahr lang probten Pianistin Vera Kappeler, Bassistin Anna Trauffer und Perkussionist Peter Conradin Zumthor mit Kindern der Stiftung Papillo. Das erarbeitete Pro-gramm «Die 7. Jahreszeit» lässt auch Erwachsene schwelgend an die Lieder ihrer Kindheit zurückdenken.
Do, 12.8., 10.30 Theater Uri
Bandella Vista Mare
Eine «Tessiner Spezialität» kommt in der Projektband Bandella Vista Mare zum Zug. Die Verkleinerungsform von Banda kann gross aufspielen, wie hier: Mitglieder der Bandella Chilometro Zero und des Ensemble Pierino e i lupi machen zu zehnt gemeinsame Sache. Sie führen Kompositionen von Peter Zemp, dem in das Tessin ausgewanderten Luzerner Akkordeonisten, und Albin Brun (selber am Saxofon) auf. «Eine aufregend moderne Ensemblemusik für Holz-, Blech- und Spielzeug», wie es in der Ankündigung heisst. Man darf mit zünftigen Bläsern und Rhythmus rechnen.
Fr, 13.8., 16.30 Theater Uri
Ländlerorchester
Es ist eine schöne Tradition in Altdorf: Komponisten werden beauftragt, eine dreiviertelstündige Ländlersinfonie für ein grösseres Ensemble zu schreiben. Bei diesem siebten Mal ist es Thomas Aeschbacher, Örgeler aus dem Oberaargauer Langenthal, bekannt unter anderem durch sein Trio Pflanzplätz. Mit dabei sind seine dortigen Mitmusiker, alle zusammen ein Dutzend: Eine kleine All-Star-Band der neuen Schweizer Volksmusik, mit Leuten von Fränzlis da Tschlin, mit Geiger Andreas Gabriel oder Balthasar Streiff (diverse Hörner). Titel der Sinfonie: «Jahreszyte im Ämmitau».
Sa, 14.8., 14.15 Theater Uri
De Gletsch à Piogre
In den 70er-Jahren haben sich die wagemutigsten Köpfe der Genfer Jazzszene zur Fanfare du Loup gefunden. In verschiedener Besetzung hat sich das eigenwillige Orchester seither der Musik von Thelonious Monk oder Modest Mussorgsky angenommen, hat Frankenstein und Pinocchio vertont. Für Alpentöne folgt nun eine Hommage an den Rhonegletscher, der einst bis nach Genf reichte, das die Musiker augenzwinkernd als Piogre (End der Welt) ins Spiel bringen. Das klingt frisch wie Gletscherwasser und sprudelnd wie die junge Rhone.
Sa, 14.8., 00.00 Theater Uri