Ich muss viel öfter an Schweizer Qualität denken, als mir lieb ist. Schweiz, Schweiz, Schweiz. Sie ist überall. Ständig werde ich darauf hingewiesen, dass etwas gut ist, weil es schweizerisch ist, oder dass etwas schweizerisch ist und deshalb gut. Das Leben in der Schweiz ist eine einzige Ricola-Werbung, es ruft immer jemand stolz: «Wer hats erfunden?»
Ich habe die Schweizer Flagge als Qualitätssiegel fest verinnerlicht: Ich betrachte Werkzeuge, Lebensmittel, Funktionskleidung, Hustenbonbons, scanne ihre Güte und höre zufrieden auf, wenn ich ein Schweizerkreuz entdecke. Ich kaufe ausschliesslich Äpfel, auf denen ein Schweizerkreuz ist. Nicht nur wegen «also ich kauf ja nur regional», nein, irgendetwas in mir scheint fest davon überzeugt zu sein, dass die Äpfel glücklich waren, dass sie das Tageslicht sehen durften, dass sie nicht in Massenapfelhaltung gemästet und dann zugepumpt mit Antibiotika brutal vom Baum gerissen wurden. Ich kaufe nur Schweizer Fleisch und das auch, weil ich denke: besser als aus Polen oder Brasilien, wo die Kühe vermeintlich Burkas tragen müssen oder von Minaretten geplagt werden! Es passiert ja allerhand im Ausland. Nur in der Schweiz ist die Welt in Ordnung. Ich würde auf jeden Fall auch Schweizer Fleisch aus Schweizer Massentierhaltung kaufen. Denn das Schweizerkreuz heisst: Qualität, Sorgfalt, Sicherheit, Moral!
Das erste Mal, als mich Schweizer Qualität wirklich enttäuscht hat, war, als mir mein Victorinox-Sparschäler kaputt gegangen ist. Da bin ich doch tatsächlich dem Schweizer High-Quality-Ruf auf den Leim gegangen und hatte das Gefühl, es sei ein besonders ausgefuchster, komplexer und zugleich einfach bedienbarer Premiumschäler. Die Ergonomieabteilung von Victorinox wirds schon wissen, habe ich mir gedacht! Messer, das können sie, habe ich mir gedacht! Und nun: kaputt, wie jeder andere Plastik-Sparschäler, mit dem man gewaltvoll versucht, eine Sellerieknolle zu schälen. Nichts Herausragendes in meiner Hand! Wie jeder Sparschäler, eben ein Sparschäler!
Aber wie hätte ich das als Ausländerin auch merken sollen! In der Schweiz wird ja auch alles als exquisit gehandelt! Ich empfinde inzwischen schon Mitleid für andere Länder, die kein Aromat produzieren und ihre Limonade nicht mit Milch mischen.
In der Schweiz kann sich «gut» schimpfen, was als schweizerisch verkauft wird – sogar Neutralität in einem rassistischen Angriffskrieg …
Als ich vor acht Jahren in die Schweiz zog, traf ich das «bessere Deutschland», das der alten Heimat um Zuglängen voraus war. Ein ungewohntes Gefühl, denn ich komme aus dem besten Deutschland, Bayern. In der Schweiz läuft ja wirklich einiges besser als anderswo. Gleichzeitig wollen Schweizer und Schweizerinnen aber auch in Kategorien die Besten sein, die dem Rest der Welt wohl egal sind.
Ich meine, wen interessiert es schon, wer die weltbeste Winterunterwäsche oder das praktischste Abfallsystem unter der Spüle produziert?
Niemanden, ausser der Schweiz!
Man könnte meinen, so funktioniert Nationalstolz generell, aber auch in der Türkei zum Beispiel, wo im Rahmen nationalistischer Narrativbildung seit Atatürk der Spruch heruntergebetet wird: «Wie glücklich kann sich schätzen, wer sagt, ‹ich bin Türke›», geht es um Werte, Tugenden, vielleicht Essen, vielleicht Sauberkeit – aber doch nicht auch noch um einen Kartoffelschäler! Oder in Japan, da hat man ebenfalls richtig gute Messer, aber selbst da gibt es wahrscheinlich niemanden, der beim Gedanken an die nationale Mülltrennungsleistung Tränen in die Augen bekommt. In den Niederlanden, ebenfalls Käsenation, hat man tolle Fahrräder, man weiss jedoch, dass die Aufschrift «aus den Niederlanden», wenn es sich beispielsweise um Gemüse handelt, nicht unbedingt etwas Gutes bedeutet. In der Schweiz jedoch ist alles gut, besonders, wenn sie sich mit Schlechteren vergleicht.
Dabei hat die Schweiz viele blinde Flecken wie löchriger Käse. Die Aufarbeitung Schweizer Kolonialgeschichte zum Beispiel. Die Unterstützung des Apartheidsystems durch Schweizer Politiker. Auch der Rückstand durch die späten Frauenrechte lässt sich nicht einfach damit wegreden, dass das Wahlrecht dafür ausser eben in Appenzell Innerrhoden demokratisch eingeführt wurde. Und doch tut man hier ständig so, als sei die Lohngleichheit das letzte grosse Problem, dabei sind wir hier in den Top Ten im Europavergleich der meisten Feminizide pro Anzahl Frauen. Nicht mal die Ehe für alle gibt es hier.
Verstehen Sie mich nicht falsch, es ist wunderbar, wenn die ganze Welt inklusive einem selbst denkt, man sei in allen möglichen Kategorien Weltklasse. Ich profitiere ja auch davon, wenn ich zum Beispiel im Ausland einfach sage, dass ich aus der Schweiz komme. Fühlt sich im Taxi viel besser an, wenn der Fahrer anerkennend in den Rückspiegel nickt: «Ah, Geld, Geld ist gut!», als wenn er in gleicher Geste und Tonfall sagt: «Ah, Hitler!»
Und trotzdem ist die Schweiz in vielen Belangen eben ziemlich medioker. Wer schon mal Basler Läckerli als Mitbringsel verschenkt hat, weiss das. Die schmecken im Vergleich zu ausländischen Süssigkeiten wie ein Stück Karton.
Wenn man nicht über Probleme redet, sondern immer nur in die Welt krakeelt: «Aber wir haben die beste Schokolade und die beste Demokratie!», kann man nicht darüber sprechen, wie man in einer besten Demokratie Populismus verhindert, oder wie man die Rezeptur von Basler Läckerli ein bisschen aufpeppt.
Und trotzdem liebe ich es, im Ausland zu wissen, dass, wenn ich mal Heimweh haben sollte, ich sicher mit einem Touri aus der Schweiz davon schwärmen könnte, wie anständiger Käse schmeckt. Sowas nennt man Heimat. Hopp Schwiiz.
Fatima Moumouni
Die Münchner Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni (*1992) schreibt Prosa, Lyrik und Rap und ist mit ihren Stücken auf deutschsprachigen Bühnen unterwegs. Nebst Soloauftritten ist sie mit Slam Poet Laurin Buser im Team Zum Goldenen Schmied zu sehen, mit dem sie 2019 die internationalen deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam gewann. Moumouni ist als Moderatorin tätig und gibt Schreib- und Rassismus-Sensibilisierungs-Workshops mit Fokus auf Sprache. Zurzeit arbeitet sie an ihrem Master in Sozialanthropologie.