Das Buch beginnt im September 1939 nach dem Überfall der Nazis auf Polen. Rudolf «Ruedi» Laur-Belart, Grossvater der Autorin, wird eingezogen. Sein Sohn Arnold Laur, Vater der Autorin und roter Faden durchs Buch, ist «nicht traurig, immerhin war Vater jetzt damit beschäftigt, selbst ein Mann zu sein, und konnte nicht mehr ständig an ihm herumzerren». Als Vertreter der Geistigen Landesverteidigung und Altertumsforscher hält Ruedi, der um kein mythologisches Zitat verlegen ist, hochtrabende Reden von seiner Bereitschaft, für sein Land zu sterben. Und natürlich weiss er, was gut für seine Kinder ist.
Doch Urgrossvater Ernst Laur wirft sogar einen noch grösseren Schatten. Von 1898 bis 1939 war er Geschäftsführer des damaligen Schweizerischen Bauernsekretariats. Er feilschte 1900 mit Italien um Käse, half 1918 als «Bauerngeneral», den Generalstreik mit Dorfjugendschlägertrupps zu vereiteln, und verhandelte in den 1930ern mit den Nazis. Seine Erwartungen sind unerfüllbar. «Klar, es war eine andere Zeit, doch da gab es einfach kein Mitleid oder Erbarmen», sagt Franziska Laur im Gespräch mit dem kulturtipp. «Entweder hast du mitgemacht oder du warst draussen.»
Schriftstellerambitionen treten in den Hintergrund
Arnold Laur ist hin- und hergerissen zwischen Mitmachen und Draussensein und zerbricht an den Erwartungen. Angewidert erfährt er von den Geheimverhandlungen, die sein Grossvater, der Bauerngeneral, mit Hitlerdeutschland geführt hatte: alle diese «Kompromisse, die Ernst Laur gegenüber den Nazis gemacht hatte. Er, der den Krieg als Lebensschule betrachtet hatte, wollte auf keinen Fall, dass er die Schweiz erreichte.» Hochtrabende Reden über Opferbereitschaft und zeitgleich Geheimverhandlungen, um sich mit dem Aggressor ins Vernehmen zu setzen: An den Widersprüchen der Vorfahren reiben sich die Nachkommen auf.
Seine Schriftstellerambitionen gibt Arnold Laur auf, um zum Familieneinkommen beizutragen. Er begnügt sich damit, über das Schreiben nachzudenken: «Worte kann man nicht herbeizwingen, das wusste er ja von den vielen Schriftstellerbiografien, die er gelesen hatte.» Auf die Frage, ob der Gedanke an das nicht realisierte Schreiben ihres Vaters sie bei der eigenen Arbeit begleitet hat, sagt Franziska Laur: «Ich glaube, dass sich mein Vater gefreut hätte über meine Darstellung von ihm.»
Der Autorin ist anzumerken, dass sie ihre Gelassenheit den Schatten der Ahnen gegenüber einiges gekostet hat. Ihren Brüdern und ihr gelingt nach 1968 der Ausbruch aus den übergrossen Erwartungen – mit aller Konsequenz und unter Inkaufnahme aller Konsequenzen.
Mit Details aus der Basler Stadtgeschichte
«Die Schatten der Ahnen» führt manchmal etwas atemlos durch 120 Jahre Familien- und Zeitgeschichte. Eine kurzweilige Lektüre, die immer wieder staunen lässt. Etwa über die Herablassung, mit der Bio-Landwirte bereits in den 1940ern konfrontiert waren. Und in Basel freut man sich über Details aus der politischen Stadtgeschichte der 1970er.
Buch
Franziska Laur
Die Schatten der Ahnen – Niedergang einer Schweizer Familiendynastie
360 Seiten
(Zytglogge 2022)