Eine Baustelle im englischen Birmingham. Hier soll ein 55 Stockwerk hohes Gebäude entstehen. Für das Fundament wird der grösste Betonguss nötig, der in Europa je für zivile Bauten produziert wurde. Ivan Locke ist der kompetente Bauleiter des Unternehmens, der gefragte und gewissenhafte Experte – bis zu diesem Abend vor der Grossaktion.
Denn Ivan Locke hat eine Entscheidung getroffen. Er will nicht dabei sein, weil er sich einer anderen, privaten Sache verpflichtet fühlt. Hier will er Verantwortung übernehmen: Locke hat soeben erfahren, dass er bald Vater wird. Die Mutter des Kindes ist nicht seine Ehefrau, mit der er seit 15 Jahren zusammen ist und zwei Söhne hat. Das Kind ist vielmehr bei einem Seitensprung entstanden. Kontakt mit der Mutter hatte er zwischenzeitlich nicht mehr.
Eine Beichte
Die nächtliche Fahrt geht von der Baustelle in Birmingham zur Geburtsklinik in London, 163 Kilometer auf der Autobahn in gut eineinhalb Stunden, exakt so lange, wie der Film dauert. Locke telefoniert unentwegt, mit dem Spital oder der werdenden Mutter. Seinen Söhnen teilt Locke mit, dass er das Fussballspiel am Fernsehen nicht mit ihnen schauen kann. Der Ehefrau beichtet er seinen Seitensprung. Nie, so beteuert er, habe er sie betrogen. Nur dieses einzige Mal, als er sich bei einer Auswärtsarbeit fern der Familie einsam fühlte. Beim Fest nach der Fertigstellung eines Baus sei es halt geschehen. Den Mitarbeiter instruiert er, wie er als Stellvertreter die logistische Herausforderung des Betongusses organisieren muss.
Eine Autofahrt, eine Person und die Telefongespräche. Sonst ist da nichts, aber das ist viel. Denn es entwickelt sich Dramatisches: «Du bist gefeuert.» (Chef) – «Komm nicht wieder.» (Ehefrau). Locke selber muss gegenüber einem Vertrauten die bittere Wahrheit formulieren: «Als ich die Baustelle verliess, hatte ich Arbeit, eine Frau, ein Haus.» Am Ende ist ihm nichts davon geblieben. Ein Haus wird gebaut und ein Leben ist zerstört.
Der 36-jährige Schauspieler Tom Hardy bewältigt als Ivan Locke diesen Ein-Personen-Film in einer bravourösen schauspielerischen Tour de Force. Gedreht wurde nämlich «live», in Echtzeit und ganzen Durchgängen. Man hat später mehrere Fassungen vom fertigen Film geschnitten, für den man den idealen Ton, den besten Ausdruck und die passende Aussenbeleuchtung auf der nächtlichen Autobahn wählte – ein eindrückliches filmisches Erlebnis.
Autor und Drehbuchautor Steven Knight sagt über seine Absicht: «Ich wollte mit diesem Film meine Vorstellung eines alltäglichen Dramas erzählen. Es geht um einen normalen Mann, dem etwas ganz Gewöhnliches passiert ist.» Es gäbe zwar «keine rasanten Verfolgungsjagden oder eine Invasion von Aliens. Aber alle Beteiligten erleben eine schwere Tragödie.»
Locke
Regie: Steven Knight
Ab Do, 19.6., im Kino