kulturtipp: Fabio Luisi, Sie traten als Chefdirigent im September das erste Mal vor Ihr neues Orchester. Waren Sie verdammt dazu, dass die Chemie stimmen musste?
Fabio Luisi: Der erste Kontakt zwischen Dirigent und Orchester ist immer schwierig, egal, ob als Chefdirigent oder als Gast. Ich bin nicht mit einem Plan vor das Zürcher Orchester getreten, dachte nicht, nun muss ich mich von meiner Schokoladenseite zeigen, damit sie mich mögen. Ich weiss, was ich kann – auch was ich nicht kann.
Was können Sie?
Ich kann gut arbeiten und weiss, dass ich die Musiker nicht durch meine Persönlichkeit und meine Manieren, sondern nur durch harte Arbeit überzeugen kann. Ich arbeitete mit dem Opernhausorchester so, wie mit einem anderen auch. Das sollte gehen, denn mit den Musikern hatte ich in der Vergangenheit nie Probleme. Und ich glaube, es hat funktioniert, denn die Einstellung der Orchestermusiker gleicht meiner persönlichen. Es war eine harmonische und effiziente Arbeit.
Musikalisch hat es gegeigt. Kann das reichen für eine Beziehung Chefdirigent–Orchester?
Warum nicht?
Sie arbeiten hier einige Jahre, da braucht es doch mehr!
Ja, Vertrauen. Das bauen wir über die Monate, vielleicht über die Jahre auf. Musikalisch und menschlich – ich muss wissen, wen ich vor mir habe. Ich kann diese Partnerschaft nicht pushen. Jeder Mensch will gemocht werden, nicht nur ein Dirigent. Wer sich aber anbiedert, verliert. Das liegt mir fern – und dem Orchester auch.
Auf was für ein Orchester sind Sie gestossen?
Ein sehr kooperatives, geduldiges und offenes für neue Ideen. Ich arbeite sehr im Detail, lasse oft wiederholen, bis es mir passt, gebe nicht nach, wenn es nicht so ist, wie ich es mir vorstelle. Ich habe das Gefühl, dass diese Arbeit willkommen ist, was für die Zürcher spricht. Viele Orchester haben die Attitüde «Wir wissen es sowieso besser». Ich kann bis jetzt nichts bemängeln. Aber wir haben dennoch viel Arbeit vor uns, da es Grundsätze gibt, die mir wichtig sind.
Welche?
Klang, Präzision, Artikulation, Zuhören. Der Boden ist fruchtbar, ich sehe schon die ersten Sprösslinge. Das macht Spass.
Dieses Opernhausorchester heisst neuerdings Philharmonia Zürich. Ist das eigentlich englisch?
Wir haben nach einem Namen gesucht, den man nicht zu übersetzen braucht. Philharmonia verstehen alle Segmente, Sprachen und Märkte.
Heisst Markt, dass man Tourneen macht und CDs einspielt?
Tournee ja und CD vielleicht auch. Mein Ziel ist es, das Orchester ausserhalb von Zürich, ausserhalb der Schweiz, als sinfonisches Ensemble zu profilieren. Und dafür müssen wir Partner haben. Diese Partner müssen die Philarmonia nach den Gesetzen des Marktes vermitteln – verkaufen. Bevor wir mit dem Vorschlag der Namensänderung zum Orchester kamen, hatten wir mit vielen Partnern gesprochen. Alle sagten: Im Prinzip sehr gerne, aber mit dem Namen «Orchester der Oper Zürich» kommen
wir bei sinfonischen Projekten nicht weiter. Die Märkte reagieren positiv auf den neuen Namen.
Haben Sie mal drüben in der Tonhalle gefragt, wie der Name dort ankommt?
Das Tonhalle-Orchester ist ein hervorragendes Orchester. Es hat seine Märkte, hat seine Auftrittsmöglichkeiten, wir wollen niemandem das Geschäft wegnehmen. Ich denke nur an mein Orchester.
Fühlen Sie sich in Zürich schon zuhause?
Ich wohne hier immer in der gleichen Wohnung, wenn ich meine Dirigier-Perioden am Opernhaus habe. Mein Wohnsitz bleibt aber New York, da mein Kind dort in die Schule geht.
Haben Sie keine Sehnsucht, kein Heimweh nach Italien?
Ich fühle mich in Italien wohl, meine Mutter lebt noch dort. Ich bin ihr gerne nah, wir haben auch eine kleine Bleibe. Und ab und zu arbeite ich auch dort. Aber ich empfinde keine grosse Sehnsucht nach Italien.
Sind Sie vielleicht eher ein deutscher Dirigent?
Ich frage mich das nie. Ich studierte Klavier in Italien und Frankreich, ging nach Österreich, um das Dirigieren zu lernen – und kam nicht mehr nach Italien zurück. Ich wurde gross mit dem mitteleuropäischen Repertoire. Das prägte mein Dirigentendasein. Die Arbeit mit den Spätromantikern – Mahler, Bruckner, Strauss oder Schmidt und später Brahms – sind meine musikalischen Wurzeln. Aber meine Karriere hat mit der italienischen Oper angefangen. Als Allererstes wird ein italienischer Dirigent gefragt: «Wollen Sie ‹Tosca› oder ‹Barbiere› dirigieren?» Ich habe das Glück, auch diese Opern dirigieren zu dürfen.
Fabio Luisi
Fabio Luisi wurde 1959 in Genua geboren. Er machte erst eine Klavier-Ausbildung, ehe er Dirigieren studierte. Luisi war Künstlerischer Direktor der Grazer Symphoniker, Chefdirigent des MDR Sinfonieorchester, des Orchestre de la Suisse Romande, der Sächsischen Staatskapelle Dresden und der Wiener Symphoniker. Seit Herbst 2012 ist er Generalmusikdirektor am Opernhaus Zürich und Principal Conductor an der Metropolitan Opera in New York. Luisi ist mit einer deutschen Fotografin verheiratet und hat drei Kinder.
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Gustav Mahler: 1. Sinfonie (Wiener Symphoniker 2012).
Bellini: I Capuleti e i Montecchi; Garanca,
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