kulturtipp: Sie erleben Triumphe mit dem Cleveland Orchestra, dirigierten 2017 in Mailand und Salzburg, im Sommer 2018 sind Sie erneut Protagonist in der Mozartstadt und gehen dann mit den Wiener Philharmonikern auf Tournee. Ideale Jahre im Leben eines Mannes von 57?
Franz Welser-Möst: Ja, zumal ich in Cleveland in die 17. Saison gehe. Das ist eine unglaublich glückliche Verbindung. Auf Tournee in Luxemburg kam Gustavo Gimeno, der junge Chefdirigent der Philharmonie Luxembourg, zu mir und fragte: «Wie ist es möglich, dass Sie nach mehr als 15 Jahren mit dem Orchester eine so glückliche Beziehung haben?»
Das wüsste ich auch gern.
Man darf eine solche Chefposition nicht so gestalten, dass es nur um einen selbst geht. Man braucht eine Philosophie, wohin die Institution gehen soll. Wichtig ist zu merken, dass man nur Teil einer Geschichte ist. Man muss versuchen, diese Tradition zu hinterfragen, weiterzutragen – und zu erneuern. Würde das Orchester nicht anders als vor 15 Jahren klingen, wäre da ein Stillstand. Ich bin in Cleveland nach wie vor glücklich, weil ich so viele programmatische Möglichkeiten habe. Ich kann aussuchen, was ich machen will. Wir gingen neulich mit vier Stücken von Olivier Messiaen auf Tournee. «Ihr werdet sehen, es ist gute Musik!», sagte ich zu den uns ängstlich erwartenden Veranstaltern.
Beim Zürcher Publikum hätten Sie es schwer damit.
Man kann auch die 100 000ste «Traviata» spielen – das ist schliesslich ein grossartiges Werk. Aber man kann viele andere grossartige Dinge tun. Erinnern Sie sich an Schumanns «Genoveva» am Opernhaus? Harnoncourt dirigierte. Ich kannte das Werk nicht, sass da und dachte: «Wahnsinn, diese Musik!» Und so dirigierte ich letztes Jahr in Salzburg mit Freude Aribert Reimanns «Lear».
Salzburg war 30 Jahre lang von Herbert von Karajan geprägt, ab 1992 rückten Dirigenten lang in den Hintergrund. Haben sie unter der neuen Leitung von Intendant und Pianist Markus Hinterhäuser wieder an Einfluss gewonnen?
Hinterhäuser ist ein künstlerisch denkender Mensch – und ein äusserst kreativer. Es ist eine andere Ausgangssituation, wenn ein Künstler mit einem Künstler spricht. Da geht es zuallererst um das künstlerische Produkt. Bei Hinterhäuser ist es ein Prozess: Erst einigt man sich, welche Oper man spielt, später folgen Gedanken über das «wie». Da fühlt man sich als Künstler gut aufgehoben, sei es ein Dirigent, Sänger oder Regisseur. Es gibt eine Anekdote über Karajan, als er in Salzburg Direktoriumsmitglied war: Da lief eine «Zauberflöte» neun Jahre lang bestens und Dirigent James Levine dachte, jetzt verlange ich mal eine wirklich dicke Gage. Karajan rief ihn an und sagte: «Sie wollen doch nicht mehr verlangen als das, was ich selber kriege?» Was will man da als Dirigent noch sagen? Nix.
Es ist in diesem Umfeld offenbar möglich, dass ein Festspielprotagonist manche Produktionen in Salzburg schlecht findet: Sie kritisierten 2017 Mozarts «Titus» scharf.
Wir leben ja nicht in einer Diktatur, wo ich sagen müsste: «Oh, ich bin engagiert von den Salzburger Festspielen, also habe ich meinen Mund zu halten.» Ich werde auch in Zukunft nicht meinen Mund halten. Ich habe nicht einmal die Produktion kritisiert, ich sagte nur, dass ich es eine Anmassung finde zu sagen, «wenn Mozart heute leben würde, würde er es so machen». Ich hätte auch sagen können, dass Freunde von mir, die eine dunkle Hautfarbe haben, sich verletzt fühlten, weil für diese Produktion Sänger hauptsächlich aufgrund ihrer dunklen Hauptfarbe engagiert wurden. Das ist umgekehrter Rassismus und in den USA ein grosses Thema.
Sie sind einer der ganz wenigen, die öffentlich Kritik am Betrieb üben – das war schon in Zürich so. Normalerweise sagt keiner etwas, alle haben Angst oder erhalten genügend «Schweigegeld».
Ich weiss. Man muss angepasst sein. Wissen Sie, ich habe letztes Jahr zu Thomas Angyan vom Musikverein Wien gesagt: «Ich bin jetzt 57, ich habe mir das Recht erarbeitet, auch einmal unbequem und schwierig zu sein.» Es geht darum, einen Standpunkt zu vertreten. Ich kann ihn schon mal ändern, aber eine Haltung, etwas mehr Rückgrat würde ich mir von den anderen schon wünschen. Wir können gegensätzlicher Meinung sein. Ich habe in jenem Interview letztes Jahr auch gesagt: «Wenn etwas in Salzburg scheitert, dann auf höchstem Niveau.» Ich sage ja auch nicht, dass alles erfolgreich ist, was ich mache, bin vielleicht sogar der Erste, der sagt: «Das war nicht so toll.» Aber diese Oberflächlichkeit, der Hang, alles schönzureden, ist weit verbreitet. Das haben wir ja im Weissen Haus: Alles ist ein Riesenerfolg. Nein, ist es nicht! Man muss sich doch auch mit der Realität auseinandersetzen können.
Konzerte
Lucerne Festival mit den Wiener Philharmonikern
Fr, 7.9., 19.30 KKL
Sa, 8.9.. 18.30 KKL
www.lucernefestival.ch
Fernsehen
Salzburger Festspiele: Eröffnung
Fr, 27.7., 11.00 3sat
Salome
Sa, 28.7., 20.00 ORF 2
(live zeitversetzt)
Sa, 11.8., 20.15 3sat
DVD
Johannes Brahms
Johannes Brahms-Cycle,
Cleveland Orchestra, 3 DVDs
(Concorde 2013/2015)
CD
Wiener Neujahrskonzert
2013
(Sony 2013)