Heute unvorstellbar, damals Teil der politischen Auseinandersetzung: «Vor der Rämistrasse heraufjohlende Frontisten. Auf dem Heimplatz beschimpften sie die Theaterbesucher als Kulturbolschewiken, wer sich wehrt, wird angespuckt und verprügelt.» Diese Episode soll sich Ende November 1934 vor dem Zürcher Schauspielhaus zugetragen haben, nach der Premiere des Stücks «Professor Mannheim» des heute vergessenen kommunistischen Autors Friedrich Wolf.
Die Schriftstellerin Eveline Hasler beschreibt diesen rechtsextremen Protest in ihrem neuen Buch «Stürmische Jahre», das den etwas unglücklichen Untertitel «Die Manns, die Riesers und die Schwarzenbachs» trägt. Tatsächlich handelt es sich um eine fiktionale Biografie des Ehepaars Ferdinand und Marianne Rieser, die während 12 Jahren das Schauspielhaus leiteten. Die beiden andern Familien dienen der Autorin lediglich als Staffage, um prominente Figuren auftreten zu lassen.
Ferdinand Rieser (1886–1947), ursprünglich Weinhändler, setzte sich mit Mut und Verve für die Verfolgten des deutschen Regimes ein. Er engagierte bedrohte Schauspieler und Autoren am Schauspielhaus Zürich, im Einzelfall konnte er sie sogar aus dem Konzentrationslager retten. Rieser verteidigte sie gegen die unsäglichen Schweizer Bürokraten, die diese Künstler lediglich als lästige Eindringlinge wahrnahmen. Zudem trug er die kommerzielle Verantwortung für das lange Jahre nicht subventionierte Theater. Seine Frau Marianne, die Schwester von Franz Werfel, betreute die künstlerische Seite des Hauses, die Stückauswahl bestimmten sie gemeinsam.
Riesers Doppelrolle
Riesers Doppelrolle als Direktor und Unterstützer der Verfolgten führte immer wieder zu Konflikten, etwa über die Bezahlung. Besonders der rebellische Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff machte der Theaterleitung das Leben schwer. Der Mitverfasser des berühmten «Moorsoldaten»-Lieds» konnte 1934, nach einer Amnestie, direkt aus dem KZ in die Schweiz an das Schauspielhaus flüchten; die 13 Monate in Haft trugen zu seiner politischen Radikalisierung bei.
Eveline Hasler legt ein flüssig geschriebenes Buch vor, dem ein etwas genaueres Lektorat nicht geschadet hätte. So muss die «Traurigkeit» ja nicht «tief» sein, und Kleintheater schiessen nicht wie «Pilze aus dem Boden». Egal. Die Autorin vermittelt einen plausiblen Eindruck der Zürcher Kulturszene in den 30ern mit prominenten Figuren.
Allen voran das Ehepaar Thomas und Erika Mann. Aber auch die begüterte Familie Schwarzenbach mit der unkonventionellen Schriftstellerin Annemarie und deren Cousin James Schwarzenbach. Der ehemalige Frontist erlangte in den 70ern nationale Berühmtheit, als er mit seiner sogenannten «Überfremdungsinitiative» Ressentiments gegen Ausländer schürte. Auch Franz Werfel und seine schrille, antisemitische Frau Alma Mahler kommen zu Ehren.
Lesung
So, 13.9., 20.00 Schauspielhaus Zürich
Buch
Eveline Hasler
«Stürmische Jahre»
224 Seiten
(Nagel und Kimche 2015).