Sie half mit, in der Sowjetunion der 1930er-Jahre den Sozialismus aufzubauen. Die Schweizerin Mentona Moser und ihr Partner Fritz Platten hatten in der abgelegenen Siedlung Waskino ein Kinderheim gegründet: «Zum Glück waren endlich die Betten eingetroffen und standen in Reih und Glied in den Zimmern und den Schlafsälen.» Fehlten nur noch die Kinder, die das Regime aus Moskau lieferte. Mentona Moser verfügte damals über die finanziellen Mittel für ein solches Projekt, denn sie stammte aus einer reichen Schaffhauser Unternehmerfamilie. Ihr früh verstorbener Vater machte als Uhrenproduzent ein Vermögen, vor allem im vorrevolutionären Russland.
Die 86-jährige Schriftstellerin Eveline Hasler schreibt von diesem radikalen sozialen Engagement der Mentona Moser (1894–1971) in ihrem neuen Roman «Tochter des Geldes». Sie berichtet von der trostlosen Kindheit dieser Frau, die mit ihrer herrschsüchtigen Mutter und einer Schwester auf der Zürichsee-Halbinsel Au aufgewachsen war: «Tränen trübten ihre Sicht, die Mutter hatte sie wieder einmal wegen einer kleinen Lüge geschlagen.» Der Leser spürt von Beginn weg, dass die Autorin ein Herz für Moser hat.
Mentona Moser war nicht die geborene Rebellin: Sie richtete sich nach den bürgerlichen Konventionen, besuchte aber Zoologie-Vorlesungen an der Universität, was für junge Frauen damals unüblich war. Doch ihre Mutter vertrieb Mentona aus dem Leben im Reichtum. Früh schon musse sie für sich selbst aufkommen, 1897 zog sie nach England und liess sich in Cambridge zur Sozialarbeiterin ausbilden. Im viktorianischen London wurde sie mit den damals desaströsen sozialen Verhältnissen konfrontiert und schloss sich der Reformbewegung der Frauenrechtlerin Octavia Hill an.
Sehnsuchtsort Sowjetunion
Zurück in der Schweiz fand Moser Kontakte in der Zürcher Arbeiterbewegung, heiratete einen sozialdemokratischen Juristen, der sie mit zwei Kindern sitzenliess. Sie fand Unterstützung in der organisierten Arbeiterschaft von Zürich. Bis sie 1924 nach dem Tod der Mutter einen Teil der Erbschaft beziehen konnte.
In jenem Jahr verstarb Lenin, was die Revolutionärin zwar betrübte, aber ihren Kampfeswillen nicht schwächte: «Der Sache des Proletariats entwachsen immer neue Kräfte, aus der Asche steigen neue Flammen auf!», schrieb sie nach seinem Tod pathetisch in ihr Tagebuch.
Moser zog nach Berlin, wo sie im Umfeld des Komponisten Hanns Eisler wirkte und als Mäzenin der Arbeiterschaft beistand. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten kehrte sie in die Schweiz zurück und wanderte bald aus zum Schweizer Revolutionär Fritz Platten in die Sowjetunion, ihren Sehnsuchtsort. Grundlegende Zweifel am System kamen ihr gemäss Haslers Roman kaum je – auch wenn sie in Russland unter der stalinistischen Repression litt, und obwohl Platten deportiert und erschossen wurde. Moser konnte rechtzeitig in die Schweiz zurückflüchten, blieb dem Kommunismus indes stets treu. Ihren Lebensabend verbrachte sie nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR, deren Ehrenbürgerin sie wurde.
Drei Fragen an Eveline Hasler
«Aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt»
kulturtipp: Warum ging Mentona Moser vergessen, bis Sie sie nun mit Ihrem Roman «Tochter des Geldes» würdigen?
Eveline Hasler: Mentonas Verdienste, Menschen in schwieriger Zeit beizustehen, wurden aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt, weil sie die in ihrer Lage damals begreifliche «Sünde» begangen hat, der jungen kommunistischen Partei in Zürich beizutreten. Der Kommunismus war damals die Partei vieler Intellektueller, das Gewerkschaftshaus in Zürich erschien als Laboratorium der Zukunft: Man hörte von Frauen- und Arbeiterrechten. Es war die Partei, die in Deutschland den Nazis und in der Schweiz den Frontisten die Stirne bot.
Worunter hat Mentona Mosers Mutter gelitten?
Diese Frau war einsam, verletzt durch Vorwürfe in der Presse, die mindestens teilweise unbegründet waren. Das viele Geld, das plötzlich auf sie zukam, hat sie zwar gefreut, doch auch überrumpelt und überfordert. Der Geldverwalter wurde zu ihrem wichtigsten Menschen, bezeichnenderweise zu ihrem Geliebten. Im Ersten Weltkrieg wurde Frau Moser von Verarmungsängsten geplagt. Fanny, die rationalere der Töchter, wollte sie entmündigen lassen.
Was ist nach der Russischen Revolution falsch gelaufen?
Stalin hat wohl den Untergang des Kommunismus beschleunigt, doch Menschen eignen sich schlecht für ein Regime mit gewalttätigen Politikern, das ihre Individualität missachtet. So mutierte die einst hoffnungsvolle DDR zum Polizeistaat.
Lesungen
Mi, 17.4., 20.00 Buchhandlung Hirslanden Zürich
Mi, 8.5., 20.00 Buchhandlung Bellini Stäfa ZH
Buch
Eveline Hasler
Tochter des Geldes
287 Seiten
(Nagel & Kimche 2019)