Wann ist ein Mann ein Mann? Diese Frage hat Herbert Grönemeyer einst gestellt. Und vielleicht ist es ein wenig unfair, zu diesem Zeitpunkt einzuwerfen, dass die Messlatte aller Männlichkeit, Chuck Norris, einst fragte: «Who the fuck is Herbert Grönemeyer?» Denn die Frage ist ja durchaus berechtigt. Und gerade in letzter Zeit hat Mann das Gefühl, die Antwort darauf sei so verdammt schwierig.
Als ich jung war – also kurz nach dem Urknall –, da wussten wir: Ein Mann ist männlich, wenn er sich seine Zähne mit Whisky putzt, im Steinbruch zwölf Stunden am Tag mit seinen blossen Händen Granitquader aus dem Berg bricht, dabei stinkt wie ein brünftiger Zuchtochse und seine Unterhosen nicht wechselt, sondern sie so lange trägt, bis er mit einem Hammer dagegen schlagen kann und sie in Einzelteilen von seinem gestählten Adoniskörper fallen.
Doch die Zeiten sind vorbei. Der moderne Mann ist verweichlicht und trägt karierte Socken in hellgrünen Converse, obendrüber eine pinke Winterjacke, und er muss sich nur schon deswegen einen Gesichtsparasiten wachsen lassen, damit es wenigstens noch ein Kennzeichen gibt, um davon abzulenken, dass er auch mit 25 noch von seiner Mutter eingekleidet wird.
Wenn Männer heute vor sich hin stinken, weil sie ihre Unterhosen nicht wechseln, wird das nicht mehr als Männlichkeit verstanden, sondern als erstes Anzeichen für ein Burnout – oder noch schlimmer: Depression – ein Konzept, das Männer meiner Generation gar nicht verstehen können. Für uns war Depression immer das, was Frauen einmal im Monat bekamen, kurz nachdem sie sich in den roten Hulk verwandelten, weil ihnen ihr Körper vorlügte, dass sie schon wieder einer biologischen Aufgabe nicht nachgekommen seien.
Finden Sie, ich übertreibe? Selbstverständlich. Aber das scheint beim Thema Männlichkeit die ganz normale Ausgangslage zu sein. Wenn ich auf elitepartner.de lesen darf, dass die Anforderungen für «einen ganz normalen Mann (…) körperliche Grösse, physische Überlegenheit, analytische Vorgehensweise, vielfältige technische und handwerkliche Kompetenzen, beruflicher Erfolg, physische Stabilität, ein gewisses Mass an Pragmatismus und natürlich Sauberkeit» beinhalten – ganz ehrlich, das ist doch kein Mann mehr, das ist der Terminator. Und ob dieser als Ehemann zu empfehlen sei, müssen sie Frau Schwarzenegger fragen – oder ihre Haushälterin.
Die Ansprüche ans Mann-Sein sind absurd. Wir sollen gute Väter sein und beste Kumpels. Stark und trotzdem weinen können. Mit jeder Situation spontan umgehen, aber immer geradlinig bleiben. Wir sollen pro Abend eine Kiste Bier wegstellen können und trotzdem immer noch drei Stunden lang eine Erektion aufrechterhalten. Und wenn ich sowas auf einer Bühne sage, ist das der Moment, in dem sich alle Männer unter 30 mit extrabreiter Brust hinposieren, um zu signalisieren, dass das für sie so was von kein Problem ist. Und alle, die nicht Männer unter 30 sind, ganz offensiv vor sich hin schweigen.
Und wer ist schuld an diesen überzogenen Ansprüchen? Die Werbung etwa? Come on. Gibt es irgendjemanden, der glaubt, dass er Grandslam-Turniere gewinnt, einfach, weil er einen Gilette-Rasierer hat? Wenn uns Rogers Karriere etwas lehrt, dann, dass grosse Sportler auch mit fast 40 noch an Wettkämpfen teilnehmen, auch wenn sie fast nichts mehr gewinnen. Ich trete ja auch immer noch bei Poetry Slams an. Wobei: Hätte Roger für jeden Turniersieg eine Flasche Schnaps saufen müssen, bräuchte er heute vielleicht wirklich einen Rasierer. Aber ich schweife ab.
Den Ansprüchen kann gar niemand gerecht werden. Kein Wunder, sind wir Männer alle konstant überfordert. Was aber keine Ausrede dafür sein kann, dass es Männer gibt, die sich so sehr in ihrer Sexualität bedroht fühlen, dass sie gleich den Untergang des Abendlandes beklagen müssen, wenn jemand auf die Idee kommt, es wäre vielleicht angemessen, eine Frau zu fragen, ob sie auch Lust hätte.
Als ob die Feststellung, dass so ein Verhalten hauptsächlich von Männern an den Tag gelegt wird – und dass die Opfer meist Frauen oder katholische Ministranten sind –, gleichzusetzen wäre mit der Aussage, Männer seien schuld an allem Übel dieser Welt: Hunger, Krieg, Aids, Roger Schawinski. Zugegeben, an den meisten dieser Dinge waren hauptsächlich Männer beteiligt. Aber die Welt wäre halt nicht automatisch eine bessere, bloss weil Marine Le Pen ihren Finger am Knopf mit den Atomraketen hätte.
Liebe Mitmänner: Ja, die Zeiten haben sich geändert. Und zwar nicht erst seit gestern. Und selbstverständlich dürfen wir alle immer noch sagen und tun, was wir wollen. Aber wer eine Frau fragt, ob sie ihre Brüste nicht bei der Arbeit stören, im Operationssaal, die Chirurgin, soll sich nicht wundern, wenn er zur Blinddarmentnahme noch eine Vasektomie gratis obendrauf bekommt. Das nennt sich Konsequenzen tragen.
Ob das eine typisch männliche Qualität ist, weiss ich nicht. Ich weiss nur das: Man muss nicht unbedingt ein Arschloch sein, um als Mann durchzugehen. Wie sagte einst ein weiser Mann: «Eine kleine Veränderung im Verhalten kann zu einer breiteren Auswahl an gesunden Entscheidungen führen.» Der Satz klingt jetzt vielleicht ein bisschen verkopft, aber im Grunde bedeutet er nichts anderes als: «Sei ein bisschen weniger Arschloch und die Welt wird besser – für alle.» Dieser Satz ist von Chuck Norris. Diesmal wirklich. Sie können ihn googeln, wenn Sie mir nicht glauben. Und er braucht keine Pointe. Genauso wenig wie das Mann-Sein.
Etrit Hasler
Etrit Hasler wurde 1977 in St. Gallen geboren und gehört zu den Pionieren der Schweizer Slam Poetry. Als boshafter Charmebolzen, Schnellsprecher mit bis zu 270 Wörtern pro Minute und Fast-überall-Moderator ist er auch nach fast 20 Jahren nicht von den Schweizer Slambühnen wegzudenken. Neben der Bühne ist Etrit Hasler als Journalist und Kantonsrat in St. Gallen tätig.