Paul Klee ist in ihrem Werk gegenwärtig. Die libanesische Künstlerin Etel Adnan hat sich von ihm direkt inspirieren lassen. Das Ölgemälde, vor dem sie sitzt versprüht – mit dem neckischen Rottupfer – die farbliche Intensität der Levante: mit der ähnlichen Heftigkeit, die Paul Klee auf seiner Tunesienreise kurz vor dem Ersten Weltkrieg erfahren hat. Das Bild ist in der neuen Ausstellung von Etel Adnan im Klee-Zentrum zu sehen. Die heute in Paris lebende Adnan hat das Werk des Meisters vor über fünfzig Jahren entdeckt und sich immer wieder mit ihm beschäftigt.
Bedeutende Künstlerin der arabischen Moderne
In der Zwischenzeit ist sie eine anerkannte Künstlerin, die vor sechs Jahren an der Documenta Kassel zu sehen war. Zudem hat sie im Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist einen Mentor gefunden, der sie bereits in seiner Londoner Serpentine Gallery und vor einiger Zeit im Museum of Modern Art in Doha gezeigt hat.
Etel Adnan ist tief in der arabischen Welt verwurzelt, hat sich aber der westlichen Moderne nicht verweigert. Sie kam vor 93 Jahren in Beirut zur Welt, als Tochter einer christlichen Griechin und eines muslimischen Syrers. Sie zog mit 24 Jahren nach Paris, um an der Sorbonne Philosophie zu studieren. Gedanken über das menschliche Wesen prägen seither ihr Schaffen: «Ich weiss, dass etwas Unbestimmtes alles zusammenhält. Dem sagen wir das Ich», sagte sie zu ihrer Ausstellung in Doha, «es ist eine Person in verschiedenen Räumlichkeiten.» Viel treffender lassen sich die Widersprüchlichkeit des Lebens und die individuelle Diversität nicht erklären.
Nach Paris liess sich Adnan in Berkeley und Harvard weiterbilden und unterrichtete als Dozentin an US-amerikanischen Universitäten. Eine Weile arbeitete sie auch als Feuilletonistin für eine Zeitung in Beirut. Aber der Bürgerkrieg zwang sie zur Rückkehr nach Paris, wo sie sich intensiv mit dem Feminismus auseinandersetzte. Zum Beispiel in ihrem Roman «Sitt Marie-Rose – eine libanesische Geschichte»: Die Christin Sitt Marie-Rose unterstützt heimlich palästinensische Flüchtlinge. Im Konflikt zwischen Libanesen und Palästinensern wagt sie es, das Freund-Feind-Schema zu durchbrechen. Sie wird als Verräterin verhaftet und soll nun ausgerechnet von einem Mann, der ihre alte Jugendliebe ist, verurteilt werden. Adnan beschreibt Sitt als eine «schöne, würdevolle Frau», die sich von widrigen Umständen nicht einschüchtern lässt.
Malerische Schriftzeichen verbinden die Welten
Immer wieder machte Adnan mit Büchern auf sich aufmerksam, etwa mit «Arabische Apokalypse»: «Die Sonne im Himmel wirkt wie ein gefangenes Tier. Ein fettes Schwein mit einem menschlichen Gesicht, das die leuchtende Sonne nicht dämpfte. Hou hou hou. Ich sah Hühner im Auge der Sonne, ich sah einen Hund FOLTER!»
Der aussergewöhnliche Text ist durchzogen von malerischen Schriftzeichen im Stil der Hurufiyya-Tradition aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. In Europa unbekannte Künstler wie der Iraker Shakir Hassan al Said setzten auf Hurufiyya, um ihren gestalterischen Ausdruck vor der Kommerzialisierung zu schützen und gleichzeitig ein antiwestliches Bekenntnis abzulegen. Die Hurufiyya-Bewegung verbindet Schriftzeichen mit abstraktem gestalterischem Ausdruck. Sie will zudem die Bezüge zwischen der künstlerischen Tradition der arabischen Welt und den westlichen Impulsen aufzeigen.
Damit ist Etel Adnan wieder bei Paul Klee, der in seinen Bildern immer wieder Schriftzeichen als Motive verarbeitete. Sie beschäftigte sich mit der arabischen Kalligrafie ebenso wie mit den japanischen Schriftzeichen, die zahlreichen Werken Adnans einen kryptischen Hauch verleihen. Ihre Arbeiten erinnern zum Teil an Bilderrätsel, mit denen sie den Betrachter herausfordern will: Nicht alles, was zu sehen ist, soll sich erschliessen – ein Geheimnis muss bleiben.
Die Farbe blieb ihr wichtigstes künstlerisches Anliegen; sie bekennt sich zu deren «unmittelbaren Schönheit» wie zu einem religiösen Gelübde. Tatsächlich kann sich niemand der visuellen Intensität ihrer Werke entziehen. Jetzt sieht man diese erstmals im direkten Vergleich mit den Gemälden von Paul Klee.
Etel Adnan
Fr, 15.6.– So, 7.10.
Zentrum Paul Klee Bern