Ob Pflanzen, Kindererziehung und Rauchverbot, das Wort «Lady» oder mit Sprüchen bedruckte Kleidung: Fran Lebowitz hat zu allem eine Meinung. Seien es Menschen, Dinge, gesellschaftliche Zusammenhänge oder ihre Heimatstadt New York City. Aufgewachsen in einer Kleinstadt in New Jersey, zog Fran Lebowitz mit 19 Jahren in die Metropole, wo sie sich zunächst mit Gelegenheitsjobs durchschlug. Andy Warhol engagierte sie als Kolumnistin für sein legendäres «Interview»-Magazin, für das sie die «besten schlechtesten Filme» rezensierte. Dank ihrem messerscharfen Verstand, ihrer feinsinnigen Beobachtungsgabe und der spitzen Feder avancierte sie während der 1970er-Jahre zu einer gefragten Gesellschaftskritikerin.
Durch Netflixserie Bekanntheit erlangt
1978 erschien Fran Lebowitz’ Essaysammlung «Metropolitan Life», drei Jahre später folgte «Social Studies». Die beiden Bestseller wurden Mitte der 1990er-Jahre als «The Fran Lebowitz Reader» veröffentlicht, der nun erstmals unter dem Titel «New York und der Rest der Welt» auf Deutsch vorliegt.
Dass ihre satirischen Kommentare erst jetzt, drei Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung, übersetzt werden, hat viel mit einer Streamingserie zu tun. Die Netflixproduktion «Pretend It’s A City» machte die eigenwillige Autorin, die kein Handy besitzt und keinen Computer nutzt, einer jüngeren Generation bekannt.
In sieben halbstündigen Folgen befragt ihr langjähriger Freund, der Hollywood-Regisseur Martin Scorsese, Fran Lebowitz zu allerlei Themen. So berichtet die scharfzüngige 71-Jährige in ihrer gewohnt gewitzten Art unter anderem über ihren Alltag. Alles in New York sei wie der «Ring der Nibelungen», stöhnt sie, eine dramatische Oper – selbst der Gang zur Reinigung.
New Yorkerin mit Herz, Hirn und Humor
Spätestens mit der Serie – übrigens die zweite gemeinsame Produktion der beiden befreundeten Kreativköpfe – wurde die coole New Yorkerin, die stets in Hemd, hochgekrempelten Jeans, Jackett, Cowboystiefeln und mit Schildpattbrille auftritt, zur Kultfigur. Grantig, aber immer mit einem Augenzwinkern, erzählt Fran Lebowitz persönliche Anekdoten und beklagt sich über Touristenmagnete wie den Times Square, den sie als die «schlimmste Gegend der Welt» beschimpft.
Aber auch die U-Bahn, Sport oder Wellness sind für sie eine Zumutung. In einem ihrer Texte mit dem sarkastischen Titel «Jeder hat das Recht, zu tun und zu lassen, was ich für richtig halte» zählt sie weitere Dinge auf, denen sie offensichtlich nicht viel abgewinnen kann. Dazu gehören «Eiswürfel in originellen Formen» oder minimalistische Flughafen-Beschilderungen. Ausserdem präsentiert sie einige Listen mit Vorschlägen, die ihr Leben deutlich angenehmer gestalten würden.
Woher kommt dieser ständige Unmut? «Die Wut kommt daher, dass ich keine Macht, aber zu allem eine Meinung habe», scherzt sie in der Serie. Lebowitz beschwert sich viel, doch ihr Lamento ist durchaus amüsant.
Man nimmt ihr das Zetern nicht übel
Die New Yorkerin ist eine Meisterin darin, Menschen und Dinge mit wenigen Worten treffsicher zu beschreiben. Ein nerviger Agent aus Los Angeles ist «hörbar braun gebrannt», ein Salat ist keine Mahlzeit, «sondern ein Lebensstil». Obwohl die Texte schon über 30 Jahre alt sind, haben einige davon nicht an Aktualität verloren. Etwa, wenn es um die Gentrifizierung von Stadtvierteln wie Soho geht.
Ihre selbstironische, liebenswert-barsche Persönlichkeit hat man bei der Lektüre ihrer Kurzessays stets vor Augen, sodass man der klugen Autorin ihr unnachgiebiges Zetern nicht übel nehmen kann. Würde man lediglich ihre Meinungsbeiträge lesen, ohne die Person dahinter zu kennen, käme man womöglich auf die Idee, man habe es mit einem zwar scharfsinnigen, aber mürrischen und unzufriedenen Besserwisser zu tun. Für ein ganzheitliches Bild ist die Netflixserie als Begleitung zum Buch deshalb unbedingt empfehlenswert.
Serie
Pretend It’s A City
Netflix
Buch
Fran Lebowitz
New York und der Rest der Welt
Dt. Übersetzung: Sabine Hedinger und Willi Winkler
352 S. (Rowohlt 2022)