Schnee fällt, ein Hirsch grast im Garten, Menschen betreten und verlassen eine Bar. In ihrem Essayband «Heidi kann brauchen, was sie gelernt hat» verflicht Tabea Steiner eigene Erlebnisse und Erfahrungen mit tiefgreifenden Fragen des Lebens und prägenden historischen Ereignissen – bis hin zu Räumen, die ins All reichen. Scheinbar simple Beobachtungen werden Teile grosser Erzählbögen.
Als Steiner in Graz mit dem Fahrrad entlang des Ufers der Mur fährt, denkt sie nach über Oumuamua, ein interstellares Objekt, das sich in unserem Sonnensystem bewegt. Und während sie in Zürich in einer Bar sitzt, tauchen Gedanken zu Zuckerrohranbau und britischen Kolonien auf.
Der Hirsch, den sie vor dem Fenster entdeckt, wird Teil einer Erzählung, in der Sisi heiratet. Und es folgen Zitate von Susan Sontag über die Fotografie, die sich, obwohl in Englisch, nahtlos einfügen in die anderen Stränge, die in der Zeit springen und sich doch angenehm gleichzeitig anfühlen.
Die Essaysammlung ist oft sehr persönlich. Tabea Steiner erinnert sich an ihre Kindheit im Dorf. «Es liegt in einer weiten Niemandslandschaft, über die sich ein amerikanischer Himmel spannt.» Man erfährt, dass Steiner ohne Fernseher und Radio aufwuchs – subtile Referenzen an das frühere freikirchliche Umfeld.
Ihre Erfahrungen als Lehrerin sind im titelgebenden Essay eingearbeitet. Sie verknüpft die Geschichte der Spyri-Figur Heidi, die lesen und schreiben lernt, mit jener von Kindern migrierter Eltern, die sich «Deutsch als Zweitsprache» aneignen.
«Ein Essay gewährt mehr Spielraum, Dinge auszuprobieren», sagt Tabea Steiner im «St. Galler Tagblatt» zum neuen Buch. Dieser Spielraum fühlt sich leicht an, obwohl die Themen oft vielschichtig und schwer sind. Doch Steiners unaufgeregte Sprache und die Klarheit ihrer Gedanken haben etwas Tröstliches.
Tabea Steiner
Heidi kann brauchen, was sie gelernt hat
144 Seiten
(Bücherlese 2024)