Allein sein und doch dazugehören. Dieser Widerspruch trieb die englische Schriftstellerin Virginia Woolf (1882–1941) um, wie sie im berühmten Essay «Ein Zimmer für sich allein» vor fast 100 Jahren schrieb. Die niederländische Autorin Connie Palmen greift den Gedanken in ihrem Aufsatz «Autonom» über Virginia Woolf auf und blickt im Alter auf ihr eigenes Leben zurück: «Es ist nicht oft vorgekommen, dass ich mein Bedürfnis nach Autonomie und mein Bedürfnis nach Intimität in Einklang bringen konnte.»
Connie Palmen (68) würdigt im Sammelband «Vor allem Frauen» sieben Schriftstellerinnen wie Virginia Woolf und als einzigen Mann Philip Roth: «Die Frauen und der Mann wecken in mir das Verlangen, so oft wie möglich in ihrer Nähe zu sein.» Palmen teilt ihnen Eigenschaften zu, die sie bei sich vermisst, wie eben «autonom» für Virginia Woolf, «wahrhaftig» für Sylvia Plath und «rebellisch» für Philip Roth.
Vom Verlangen, diesen Menschen nahe zu sein
Connie Palmen ist in den Niederlanden eine öffentliche Stimme, die sich neben der schriftstellerischen Arbeit immer wieder zu politischen und ethischen Fragen äussert. Sie war verheiratet mit dem vor 14 Jahren verstorbenen linksliberalen Politiker Hans van Mierlo, einem ehemali gen Aussenminister des Landes. Der US-amerikanischen Autorin Sylvia Plath (1932–1963) kommt im neuen Band eine prominente Stellung zu.
Palmen schildert, wie die unter Depressionen leidende Lyrikerin vor ihrem Suizid 1963 wiederholt ankündigt, sich das Leben zu nehmen. «Stop Crying Wolf» ist das geflügelte Wort für einen Hilferuf, der mit jeder unnötigen Wiederholung an Glaubwürdigkeit verliert. «Die Lebensgeschichte, mit der sich Plath identifizierte, ist eine ziemlich ungewöhnliche Passionsgeschichte», schreibt Palmen.
Plath stieg nach einem Praktikum beim Frauenmagazin «Mademoiselle» auf die Dachterrasse eines Hotels und warf alle Kleider, die sie in jener Zeit getragen hatte, Stück für Stück, hinunter. Eine Art weibliche Selbsthäutung von «Hurenunterröcken», so Palmen.
Zerrissenheit im Leben literarisch übersetzen
Die Autorin macht es sich mit ihren Auserwählten nicht einfach, besonders nicht mit Philip Roth. Sie nennt ihn einen «anstandslosen, lüsternen, sexsüchtigen, zwanghaft masturbierenden, rachsüchtigen, des Frauenhasses bezichtigten US-Amerikaner». Trotzdem liebt sie ihn, weil er «seine eigene Zerrissenheit und seine Ambiguität im Leben zugelassen» und literarisch übersetzt habe. Genauso wie das Connie Palmen anscheinend selbst tun möchte.
Buch
Connie Palmen
Vor allem Frauen Aus dem Niederländischen
von Lisa Mensing 153 Seiten
(Diogenes 2024)