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Venedig, die dem Untergang geweihte Lagunenstadt, bildet die passende Kulisse für Daniel Schreibers Essay. Hier verbringt der 46-jährige deutsche Autor in einem vom Hochwasser angegriffenen Palazzo einen Schreibaufenthalt und stellt sich – spazierend durch die morbid-neblige Stadtszenerie – seinen Verlusterfahrungen und seinen Gefühlen des Verlorenseins. Ausgangspunkt des Buchs «Die Zeit der Verluste» ist der Tod seines Vaters, der ihn an die Grenzen seiner Kräfte brachte.
Im Abschiedsschmerz fühlte er sich abgekapselt von seiner Umgebung und kommt zum Schluss: «Wir leben in einer Welt, die keinen Platz für Trauernde lässt. Unsere Kultur hat mit der schwarzen Kleidung der Trauer auch viele andere ihrer einstigen Rituale abgelegt, die die Generationen vor uns kannten.» Keine Scheu davor, Verletzlichkeit zu zeigen Während er seine verdrängte Trauer an die Oberfläche gelangen lässt, umkreist Daniel Schreiber in seinem Essay aber auch Verlusterfahrungen im weiteren Sinne:
Das reicht bis zu den Verlusten, welche die Gesellschaft in einer Zeit des Umbruchs im Kollektiv erlebt – mit Klimawandel, antidemokratischen Entwicklungen, oder Flüchtenden, die im Mittelmeer ertrinken. Wie bereits in seinem Bestseller «Allein» und anderen literarischen Essays verbindet Daniel Schreiber die persönliche mit der kollektiven Erfahrung.
Er scheut sich nicht, seine Verletzlichkeit zu zeigen, geht aber über das persönliche Befinden hinaus, indem er Gedanken von Schriftstellerinnen, Psychologen oder Philosophinnen einstreut und zur weiteren Lektüre von berührenden Büchern über die Trauer anregt: Joan Didions Buch «Das Jahr magischen Denkens» etwa, Sheila Hetis Roman «Reine Farbe» oder Roland Barthes’ «Tagebuch der Trauer».
«Auf diesem Pfad gibt es keine Wegweiser» Auch die deutsch-englische Autorin Louise Brown hat sich im Bestseller «Was bleibt, wenn wir sterben» (2021) auf persönliche und durch ihren «Lebenshumor» auch tröstliche Weise mit der Trauer beschäftigt, nachdem ihre Eltern kurz nacheinander gestorben waren. Die Journalistin hat sich danach gar zur Trauerrednerin ausbilden lassen. Worte zu finden für das Unsagbare, war ihr grosses Anliegen.
Daraus entstanden ist nun das Journal «Was bleibt, wenn wir schreiben», in dem sie Trauernde zum eigenen Schreiben ermutigt. Nebst ihren Erfahrungen und Reflexionen gibt Brown mit Fragen Anknüpfungspunkte für eigene Gedanken, die Platz haben auf den leeren Seiten. So kann sich das im schönen Leinenband gestaltete Journal füllen mit Erinnerungen an die Verstorbenen und mit eigenen Trauer- und Kraftmomenten. «Auf diesem Pfad gibt es keine Wegweiser.
Niemand kann einem sagen, wie man es schafft, einen Fuss vor den anderen zu setzen, das Gewicht der Trauer schwer im Gepäck», schreibt Louise Brown gleich zu Beginn. Als Trost bringende Wegbegleiterin führt sie ihre Leser bis zum letzten Kapitel «Lieben, loslassen, schreiben». Halt bietet auch Daniel Schreiber, der mit seinem Buch zeigt, dass die Trauer ein urmenschliches Gefühl ist. Und dass dieser Schmerz «zu den Grundbedingungen unseres Menschseins gehört, Teil unserer Ich-Werdung, unserer Menschlichkeit ist».
Bücher
Daniel Schreiber
Die Zeit der Verluste
144 Seiten
(Hanser 2023)
Louise Brown
Was bleibt, wenn wir schreiben – Ein Journal für die Zeit der Trauer
240 Seiten
(Diogenes 2023)
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