«Winter ist nicht einfach nur eine kalte Jahreszeit. Auch im Leben kann es Phasen geben, die sich wie Winter anfühlen. Karge Phasen, in denen man sich ausgesondert, ausgeschlossen und ausgebremst fühlt …» So definiert Katherine May ­ihren persönlichen Winter – und spricht damit wohl auch vielen Pandemie-Geplagten aus dem Herzen. Die Autorin lebt am Meer im englischen Whit­stable, wo sie sich im Winter schon mal in die eisigen Fluten stürzt, um die Lebensgeister zu wecken. Mit dunklen Phasen kennt sich die 40-Jährige aus – zur Diagnose des Asperger­syndroms gesellten sich eine Depression und andere schwierige Lebensumstände.

Akzeptanz der eigenen Unzulänglichkeiten
Das Schreiben ist für die Autorin zum Anker geworden. Im  Essay «Überwintern» teilt sie persönliche Erfahrungen und Über­lebens­strategien in garstigen Zeiten, unternimmt aber auch spannende Exkurse: So erzählt sie vom Bad in den heis­sen Quellen in Island, von Polarlichtern in Norwegen oder von der Feier der Wintersonnenwende – wissenswerte Details inklusive. Und sie blickt auf die tierischen Überlebenskünstler wie die Hasel­­mäuse, die sich das Dreifache ihres Körpergewichts anfuttern und sich in einem Nest aus Moos, Rinde und Laub einkugeln, um zu überwintern.

Vom Rückzug der Haselmaus kann sich der Mensch, der sich zuweilen im temporeichen Hamsterrad verheddert, einiges abgucken, ist May überzeugt. Sie plädiert für Selbstfürsorge und die Akzeptanz der eigenen Unzulänglichkeiten. «Ein Buch wie ein warmer Mantel», heisst es im «Guardian» treffend. «Überwintern» ist ein zuversichtlich stimmendes Buch, das in sieben Teilen vom September über die strengen Wintermonate bis in den März führt – ins Tauwetter und in die Sonne.

Buch
Katherine May 
Überwintern – Wenn das Leben ­innehält
272 Seiten 
(Insel 2021)