Essay-Band: Die Farben Marokkos
Nach Tanger zog es viele Künstler aus Europa – auch Henri Matisse. Der Autor Abdelkader Benali begab sich auf Spurensuche und begegnete auch sich selbst.
Inhalt
Kulturtipp 26/2019
Renata Schmid
«Tanger ist das berüchtigte Clubhaus ausgeflippter Schriftsteller, eine benebelte Spelunke für Künstler, das Hôtel d’Amour verbitterter Kolonialisten (…) Alles landet hier ungeordnet auf einem Platz.» Diese Zeilen schreibt der holländische Autor Abdelkader Benali im Juni 1998 nieder: Gerade ist der damals 23-jährige Arabischstudent in Tanger angekommen. Er wähnt sich eher in einer italienischen Hafenstadt als in Marokko. Der Ort zie...
«Tanger ist das berüchtigte Clubhaus ausgeflippter Schriftsteller, eine benebelte Spelunke für Künstler, das Hôtel d’Amour verbitterter Kolonialisten (…) Alles landet hier ungeordnet auf einem Platz.» Diese Zeilen schreibt der holländische Autor Abdelkader Benali im Juni 1998 nieder: Gerade ist der damals 23-jährige Arabischstudent in Tanger angekommen. Er wähnt sich eher in einer italienischen Hafenstadt als in Marokko. Der Ort zieht den Autor trotzdem in den Bann. Denn was ihn nach Tanger geführt hat, ist ein Gemälde, auf dem «das Blau des Meeres und das Blau der Stadt frontal zusammenstossen» – gemalt vom französischen Künstler Henri Matisse (1869–1954).
Buntes Mosaik – farbig, kraftvoll und froh
Abdelkader Benali wird 1975 im marokkanischen Ighazzazen geboren. Mit vier Jahren kommt der Sohn eines berbersprachigen Gastarbeiters mit seiner Familie nach Rotterdam. Benali wird ein begnadeter Geschichtenerzähler. Bereits mit 21 Jahren schreibt er seinen ersten Roman «Hochzeit am Meer». Darin erzählt er von einer Emigrantentochter, die ins Dorf ihrer Eltern zurückkehrt. Das Cover wird vom Verlag bestimmt. Es ist das Bild «Paysage vu d’une fenêtre», das Matisse 1911–12 in Tanger gemalt hat. Das Werk hält den Blick vom Zimmer im «Hôtel de France» fest.
Als Abdelkader Benali dieses Bild zum ersten Mal sieht, ist ihm weder Tanger noch Matisse ein Begriff. Er weiss nur, dieses Gemälde wird seinen Roman schmücken und soll als Kaufanreiz dienen. Das Bild lässt ihn nicht mehr los, er will mehr erfahren über den Mann, der es gemalt hat. 20 Jahre lang reist Benali immer wieder nach Tanger und erkennt, warum das Land seiner Eltern auf Generationen von Malern eine derart grosse Anziehungskraft ausgeübt hat: das marokkanische Blau, die Sonne, das Licht. Die Spurensuche nach Henri Matisse gerät zu einer Reise, die Zeit und Raum entgrenzt.
Betrachtungen über die in Tanger entstandenen Werke von Matisse, dessen Verhältnis zu Licht und Farbe beleuchtet Benali genauso schöpferisch, wie er sein eigenes Leben und den Alltag in der Stadt skizziert: lebendig, farbig, kraftvoll und froh. Sein Essay wird so zu einem bunten Mosaik voller Betrachtungen, Erkenntnisse und Exkurse über die Kunst. Ein Buch, das Lust macht auf Reisen, Kunst und Literatur, auf Tanger, Matisse und mehr.
Buch
Abdelkader Benali
Henri Matisse in Tanger
110 Seiten
(Piet Meyer 2019)