Zu Beginn ist es dunkel, abgesehen von zwei flackernden Discokugeln. Wir erkennen knapp ein Sofa und einen Tisch mit leeren Flaschen. Die Party letzte Nacht soll heftig gewesen sein, sagt eine in Weiss gekleidete Schutzengelin, die via Bildschirm zu uns spricht. Allerdings mahnt sie zur Eile, denn unser Flug zu einem Musikwettbewerb starte in sechs Stunden. Dummerweise sind wir aber noch im Partyraum eingeschlossen, und der Autoschlüssel ist weiss Gott wo.
Restalkohol haben wir auch noch im Blut. «Drive Out» heisst der Escape-Room, den wir zu zweit an der Herman-Greulich-Strasse in Zürich besuchen. Es ist kein herkömmlicher Rätsel- und Ausbruchspass, sondern einer von immer mehr Escape-Rooms, die ein präventives oder pädagogisches Ziel verfolgen. In diesem Fall heisst die Devise: Wer fährt, trinkt und kifft nicht.
Die Rätsel erfordern «lautes Denken»
Klingt simpel, ist in der Praxis aber eine echte Herausforderung: Sobald der Countdown beginnt, müssen wir Puzzleteile zusammensetzen, Tequila-Shots in eine Promille-App eintragen, Schlösser knacken, bei einem Reaktionsspiel die richtige Pedale drücken und einen Fahrzeugcheck durchführen. Bis wir herausgefunden haben, was genau zu tun wäre, ist schon die Hälfte der Zeit vergangen.
Die Rätsel erfordern viel «lautes Denken», sagt Chantal Bourloud. «Ohne gutes Teamwork kommt ihr in 60 Minuten nicht raus.» Chantal Bourloud ist Geschäftsführerin der Präventionsorganisation «Am Steuer Nie» und betreibt zusammen mit Projektleiter Tobias Riethmann und fünf Freelancerinnen und Freelancern den Escape-Room «Drive Out». Bei diesem Projekt, das bis Juni 2025 befristet ist, geht es nicht um Profit (die Eintrittskosten pro Person betragen nur 10 Franken), sondern darum, «dass im Verkehr der Mensch im Zentrum stehen soll.
Es passieren immer wieder Fehler, vor allem im Zusammenhang mit Alkohol, Drogen, Medikamenten und Ablenkung». Dafür wolle man die Escape-Room-Spielerinnen und -Spieler sensibilisieren.
Spielend lernen in Liechtenstein und Genf
Inzwischen habe man zu «Drive Out» viele positive Rückmeldungen bekommen, die Mundzu-Mund-Propaganda funktioniere ebenfalls gut. Das muss sie auch, denn aufwendige Werbekampagnen hätten sie keine, sagt Bourloud. Sie wünscht sich, dass das Projekt nach Ablauf der Betriebsdauer auch andernorts durch die Schweiz touren kann. Bourloud ist freilich nicht die Einzige, die Escape-Rooms pädagogisch einsetzt.
Im Liechtensteinischen Landesmuseum können Besucherinnen und Besucher in einem Rätselzimmer eine Zeitreise ins Mittelalter antreten. Und auch das Genfer Bildungsdepartement mischt beim Boom mit – drei Räume sind ausschliesslich für Schülerinnen und Schüler in Betrieb. So können sie etwa im Keller einer Handelsschule den Gangster Al Capone jagen oder in einem Gymnasium in die Rolle von Migranten auf der Flucht schlüpfen.
Oder sie haben die Möglichkeit, ihre Lateinkenntnisse zu verbessern, indem sie sich ins Jahr 79 nach Christus nach Pompeji zurückversetzen lassen, wo sie einen Tresor finden müssen, bevor der Vesuv ausbricht. Manuel Grandjean, Direktor des Genfer «Schul-Media-Service», sagt: «Mit diesem Escape-Room wollten wir das Latein fördern, da es keineswegs eine tote Sprache ist, sondern unsere Gesellschaft immer noch prägt.» Grandjean ist überzeugt, dass der Mensch am besten spielend lernt, weil er sich nur dann «ganz hineingibt».
Wissensvermittlung und Förderung von Teamarbeit
Der Bau eines Escape-Rooms kostet den Kanton Genf 25 000 Franken. Laut Grandjean lohnt sich das: «Wir können den Raum auf verschiedenen Ebenen für mehrere Altersstufen nutzen.» Was ihm aber noch wichtiger ist: «Neben dem Wissen trainieren die Schülerinnen und Schüler dort auch das Zusammenarbeiten und Kommunizieren.» Er beobachte, dass die Erfahrung die Klassendynamik stark beeinflusse.
«Die Kinder lernen, dass die kollektive Intelligenz mehr wiegt als die individuelle.» Solche Erkenntnisse dokumentiert Grandjean und stellt sie Forschern zur Verfügung. Derzeit gebe es noch kaum Daten zum pädagogischen Wert von Escape-Rooms. Gesicherte Ergebnisse erwarte er in etwa einem Jahr. Fallen diese positiv aus, erhofft er sich Nachahmer-Projekte. Für die Anwendung sieht er keine Grenzen. «Bei einigen Fächern braucht es einfach mehr Kreativität in der Gestaltung des Raums.»
Um einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol und Autofahren zu lernen, eignet sich der Zürcher Escape-Room recht gut: Die Ampel wechselt schnell von Grün auf Rot, zu schnell für die Reaktionsfähigkeit, solange diese noch von Restalkohol getrübt ist. Die Aufgaben sind abwechslungsreich und fordern verschiedene Denkweisen.
Leider sind wir zu zweit etwas im Nachteil – Dreier- bis Sechsergruppen wären ideal –, und unsere fehlenden Fachkenntnisse beim Fahrzeugcheck («wo ist nochmal die Scheibenwischerflüssigkeit?») rauben uns wertvolle Minuten. Nach einer Stunde befreit uns Chantal Bourloud aus der Katerstimmung und serviert uns nebenan an der «Funky Bar» Cocktails. Natürlich alkoholfrei.
Escape-Rooms
Drive Out
Herman-Greulich-Str. 70, Zürich
www.escaperoom-driveout.ch
Das Archiv
Liechtensteinisches Landesmuseum, Städtle 43, Vaduz
www.landesmuseum.li -> Mittelalter am Bodensee