kulturtipp: Ihr mischt experimentelle und elektronische Elemente in eure Songs. Seht ihr euch ein Stück weit in der Tradition des früheren Krautrocks?
Micha Acher: Krautrock ist auf jeden Fall Musik, die uns beeinflusst und die uns gefällt. Wir versuchen bewusst, solche Elemente einzubauen. Die kommen bei uns aber aus verschiedenen Richtungen und durchmischen sich. Gerade bei der letzten Platte («Close To The Glass») zeigt sich das stark. Dadurch weist sie einen collagenartigen Charakter auf.
Ihr habt mit eurem Sound eine internationale Marke geschaffen. Wie könnt ihr euch immer noch von der Masse abheben?
Wir versuchen uns nicht bewusst, von der Masse abzuheben, und machen uns keine grossen Gedanken, wie wir etwas Besonderes oder Tolles machen könnten. In eine neue Platte fliesst immer das ein, was uns in dem Moment gerade interessiert und was wir selber hören wollen. Da entsteht dann eine Klangästhetik und Songstruktur, die uns in diesem Moment gefällt. Dies ist kein Konstrukt, sondern eine natürliche Entwicklung aus dem Studioprozess.
Einen Namen und einen authentischen, eigenen Sound zu haben, ist eines. In der heutigen Krise der Musikbranche ökonomischen Erfolg zu haben, etwas anderes. Kommt ihr finanziell mit der Musik über die Runden?
Alle Bandmitglieder arbeiten an vielen unterschiedlichen Projekten in verschiedenen Bands. Nur von Notwist-Plattenverkäufen alleine könnte man nicht leben. Die Verkäufe sind allgemein überall extrem zurückgegangen. Mit der Summe aller einzelnen Teile geht es – doch reich wird man mit solcher Musik nicht.
Wie bringt ihr diese Nebenprojekte alle unter einen Hut?
Wir versuchen, das so zu koordinieren, dass sich die einzelnen Nebenprojekte nicht in die Quere kommen. Das ist sicher einer der wichtigsten Punkte, warum Notwist schon so lange funktioniert und es keine Streitereien gibt. Jeder hat die Möglichkeit, seine eigenen Ideen, die er bei Notwist vielleicht nicht unterbringen kann, in einer anderen Band umzusetzen. Dieser Ausgleich ist nötig. Es wäre musikalisch schrecklich und nicht anhörbar, wenn man alle Ideen und Gedanken in diese eine Band reinpacken wollte.
Was sagt ihr zur momentanen Entwicklung hin zu Musikstreaming-Diensten wie Spotify?
Durch diese Dienste können viele Leute umsonst oder fast umsonst Musik hören. Das ist auf der einen Seite schlecht, weil man keine Platten verkauft und die Musik auch an Wert verliert, da sie immer und überall umsonst zur Verfügung steht. Andererseits hat es auch positive Effekte und gibt uns etwa die Möglichkeit, weltweit Konzerte zu spielen. In Ländern, in denen wir keine einzige Platte verkauft haben und keine gute Vertriebsstruktur haben, kommen Leute zum Konzert und kennen unsere Musik. Dies führt dann wieder zu einem Überangebot an tourenden Bands und macht es schwieriger, an Engagements zu kommen.
«Close To The Glass» ist ein Album, das wie eine perfekt aufeinander abgestimmte Collage von Songs wirkt. Entstand die Platte zuerst als Konzept oder intuitiv?
Wir überlegen zwar im Voraus etwas, das dann aber meistens doch nicht funktioniert. Diesmal haben wir uns vorgenommen, wirklich alles auszuprobieren und aufzunehmen, was uns in den Sinn kommt. Schon relativ früh hatten wir dabei diesen Grundgedanken von einer Collage: harte Brüche, ein Switchen zwischen Stimmungen und viele Wechsel und Übergänge.
Der neuen Platte ist eine gewisse Grundmelancholie anzuhören. Woher kommt diese?
Wir denken uns nicht: «Wir wollen eine melancholische Platte machen.» Für uns ist das vielmehr eine gewisse Art zu komponieren. Dazu kommen die vielschichtigen Texte von Markus, die unterschiedlich interpretiert werden können. Das kann in Kombination dann melancholisch wirken. Dabei versuchen wir eigentlich immer, treibende Platten zu machen – und das kommt dann dabei raus.
Eure Live-Auftritte überzeugen. Wie viel Konzept und Planung steckt da drin, und was überlässt ihr dem Zufall?
Wir machen uns Gedanken über die Reihenfolge, haben aber immer noch die Möglichkeit, Teile zu öffnen und aufeinander zu reagieren. Dazu muss gesagt sein, dass wir eine sehr gute musikalische Kommunikationsebene haben. Die Interaktion auf der Bühne ist sehr offen, und wir stellen gerne das Programm um – das hält alles am Leben und macht die Konzerte auch für uns interessant.
Konzert
The Notwist
Do, 31.7., 20.00
Seebühne Rote Fabrik Zürich
Überzeugendes Flickwerk
Die ursprünglich aus Weilheim in Oberbayern stammende Band The Notwist gilt als die deutsche Indie-Band schlechthin. Vor 25 Jahren von den Brüdern Markus und Micha Acher und Mecki Messerschmidt gegründet, hat die Band ihren Stil von anfänglich Punk, Rock und Metal zur heutigen Mischung aus Indie-Rock und elektronischen Elementen verändert. Massgeblich beteiligt an dieser Entwicklung war Martin Gretschmann, der 1997 der Band beitrat und erste elektronische Parts beigesteuert hat. Solo ist er mit dem Elektronik-Projekt Console und als DJ Acid Pauli unterwegs. Notwist-Alben erscheinen nur etwa alle fünf Jahre und werden von Kritikern und Publikum meist in den höchsten Tönen gelobt. Auf dem Album «Close To The Glass» vermengen sich Knarzen und Blubbern mit der zurückhaltenden Stimme und den mehrdeutigen Texten von Sänger und Gitarrist Markus Acher. Jeder Song wirkt wie ein kleines, in sich geschlossenes Kunstwerk. Gitarre und Cello passen genauso rein wie gradlinige Ravebeats. Trotz dieser widersprüchlichen Teile hat das Album gehörig Fluss. Und lädt zum wiederholten Hören ein, bei dem immer neue Facetten entdeckt werden können.
The Notwist
Close To The Glass
(City Slang 2014).
20 Jahre gegen den Strom
Als Alternative zur kommerziellen Street-Parade-Afterparty «Energy» wurde vor zwei Dekaden zum ersten Mal die «Lethargy» veranstaltet. Seither überzeugt diese jährlich mit Line-Ups weitab vom elektronischen Mainstream. Für ein Wochenende wird die Rote Fabrik musikalisch und optisch verwandelt. Diesmal sind unter anderem die dänischen Elektro-Popper von When Saints Go Machine am Freitag und das Zürcher Krautrock-Duo Klaus Johann Grobe am Samstag zu hören.
Lethargy
Do, 31.7.–So, 3.8.
Rote Fabrik Zürich
www.lethargy.ch