Körperliches Leiden überzeugend in Worte zu fassen, ist eine Kunst. Die US-amerikanische Schriftstellerin Jean Stafford beherrscht sie perfekt: «Es war ein nackter, sauberer, lebhafter Schmerz, der sie mit Übelkeit und Ohnmacht zurückliess und mit dem Wunsch, zu sterben.»
So erlebt eine Unfallpatientin die Behandlungstortur eines Nasenarztes in einem Spital. Sie hasst den Doktor: «In seiner Ahnungslosigkeit war dieser Niemand, dieser Nasenfanatiker, drauf und dran, mit dem Feuer zu spielen, und sie wünschte ihm Böses.»
Breite Anerkennung in literarischen Kreisen
Die kalifornische Schriftstellerin Jean Stafford (1915–1979) schildert diese Episode in ihrer Erzählung «Die innere Burg». Die Kurzgeschichte beruht auf einer persönlichen Erfahrung: Stafford erlitt schwere Verletzungen im Gesicht, nachdem ihr Ehemann, der Dichter Robert Lowell, betrunken einen Autounfall gebaut hatte.
In der literarischen Version dieses Vorfalls berichtet die Erzählerin von den seelischen und körperli- chen Nöten der Patientin Pansy, die gegen die medizinischen Zumutungen in einem Spital rebelliert. Die heute etwas vergessene Jean Stafford war in der Nachkriegszeit eine angesehene Schriftstellerin. Besonders ihre Kurzgeschichten im Magazin «New Yorker» fanden Zuspruch.
Die Autorin wurde mit dem Pulitzer- Preis geehrt und genoss zeitweilig breite Anerkennung in literarischen Kreisen, auch wenn sie nie zur ersten Garde eines William Faulkner oder Ernest Hemingway gehörte. Stafford kam wie viele Autorinnen und Autoren ihrer Generation schlecht mit dem Leben zurecht. Sie verfiel immer wieder in Depressionen und trank zu viel. Ihre drei Ehen wurden geschieden, sie verstarb vereinsamt.
Ihr wichtigstes Werk «Die Berglöwin» ist die literarische Verarbeitung ihrer rebellischen Jugend – und wie dieser Erzählband ebenfalls beim Dörlemann-Verlag in neuer Übersetzung erschienen.
Behaupten in einer fremden Welt
Eine der stärksten Kurzgeschichten in der neuen Sammlung trägt den Titel «Ein Andrang von Dichtern». Darin rechnet die Ich-Erzählerin mit ihrem katholischen Ehemann Lowell und seinen Gedichten ab.
Der Text ist offenkundig von Selbsterlebtem durchsetzt und zeugt von der Verbitterung einer Frau, die in all ihren Nöten die Selbstironie nicht verlernt hat. Etwa wenn sie über ihr Ringen mit dem Katholizismus berichtet: «Mit einem schwachen Schaudern und einem Seufzer gab ich den Heiligen Geist auf.» Denn «der Hirte konnte mein Blöken nicht hören».
Sie findet dennoch den Weg zur Religion, aber auf ihre eigene Weise, indem sie sich mit einem Priester betrinkt. Auch Lowells schriftstellerische Ambitionen und die seiner Freunde finden nicht ihre ungeteilte Begeisterung: «Ich steckte in diesem Pulk von Dichtern (drei Dichter in einem mittelgrossen Raum sind eine Menge) und hatte nichts zum Freuen.» Wie in der «Berglöwin» bewiesen, versteht sie es, sich in die Gedankenwelt der Kinder hineinzudenken.
Auch dafür finden sich im Band anschauliche Beispiele. So ist in der Geschichte «Dunkler Mond» ein Mädchen während einer Mondfinsternis auf einer fremden Ranch panischen Ängsten ausgesetzt. Oder ein kleiner Junge muss sich in «Ein Sommertag» in der Welt Erwachsener behaupten: «Jim sass in dieser furchtbaren Hitze und diesem furchtbaren Ausgeliefertsein zwischen ihren erwachsenen Leibern …» Da leidet man mit dem Kleinen förmlich mit und hofft, dass er sich den Widerwärtigkeiten in einer fremden Welt stellen kann.
Buch:
Jean Stafford - Das Leben ist kein Abgrund
335 Seiten (Dörlemann 2022)