Sie galt als unnahbar, humorlos und eitel, ihre Mitmenschen bezeichnete die blitzgescheite Schriftstellerin gern als «Dummköpfe». Susan Sontag (1933–2004), die mit ihren funkelnden Essays schon früh aus dem Einheitsbrei herausstach, machte es ihren zahlreichen Verehrerinnen und Verehrern nicht einfach. Das wird in zwei neuen Biografien über die New Yorker Intellektuelle deutlich.
Selbstzweifel werden spürbar
Wer jedoch einen unverfälschten, direkten Blick auf Susan Sontags Werk werfen will, vertieft sich am besten in den kürzlich erschienenen Erzählband «Wie wir jetzt leben» mit fünf teils autobiografisch grundierten, fiktiven Geschichten. Denn im Gegensatz zu ihren analytisch-scharfsinnigen Essays zeigt Susan Sontag in ihren weniger beachteten Erzählungen auch eine verletzliche und experimentierfreudige Seite. Und sie lässt ihre Selbstzweifel spüren, wie die deutsche Journalistin Verena Lueken im Nachwort des Bands festhält.
So beschäftigt sich Sontag, die sich in ihren Essays oft mit dem Thema Krankheit befasste, in der titelgebenden Erzählung «Wie wir jetzt leben» etwa mit dem Aussenblick auf einen Kranken, einen Todgeweihten. Sontag stellt eine New Yorker Freundesgruppe in den Mittelpunkt, die sich in den 80ern um ihren an Aids erkrankten Freund sorgt. Ihre Erzählung wirkt in der durchgezogenen indirekten und direkten Rede zwar etwas umständlich. Deutlich werden dadurch aber die Reaktionen der Freunde: Sie meinen es gut mit dem Kranken, umsorgen ihn, haben ihn aber – indem sie über ihn und nicht mit ihm sprechen – bereits aus ihrem Kreis ausgeschlossen.
Auf einem autobiografischen Kern beruht die Geschichte «Wallfahrt»: Bereits in ihren Tagebüchern hat Sontag von ihrer enttäuschenden Begegnung mit Thomas Mann erzählt, den sie als junges Mädchen in den 40ern in seinem Haus in Südkalifornien besuchte. In der fiktionalisierten Form ist es nun eine 14-jährige, Bücher verschlingende Ich-Erzählerin, die das Gefühl hat, dass sie ein «Leben weit unter ihrem Niveau» führt. Thomas Manns «Zauberberg» wird für sie zum lebensverändernden Buch. Als ihr ein Freund vorschlägt, den verehrten Dichter zu besuchen, weigert sie sich zunächst, lässt sich dann aber überreden. Die Scham, die sie im Voraus empfindet, wird sie allerdings auch beim Besuch nicht los: Denn das Gespräch mit ihrem Idol wird zur zähen, plattitüdenhaften Konversation – eine desillusionierende Erfahrung, die ihr noch Jahrzehnte später als schrecklich und schambehaftet in Erinnerung bleibt und die sie in dieser Erzählung nochmals aufleben lässt.
Erinnerungsband und Psychogramm
Zwei neue Biografien gehen dem Menschen hinter der Ikone nach: Schriftstellerin Sigrid Nunez erinnert sich in ihrem schmalen Band an die Zeit, als sie für Susan Sontag arbeitete und bei ihr lebte, und zeichnet das Bild einer hochintelligenten Autorin mit all ihren Widersprüchen. Historiker Benjamin Moser nähert sich der berühmten Essayistin auf psychoanalytische Weise an und leuchtet in seiner Biografie auf fast 1000 Seiten Sontags Ambivalenzen aus – basierend etwa auf Gesprächen mit ihrem Sohn oder Sontags Weggefährtinnen wie der Fotografin Annie Leibovitz.
Bücher
Susan Sontag
Wie wir jetzt leben
128 Seiten
(Hanser 2020)
Benjamin Moser
Sontag.
Die Biografie
924 Seiten
(Penguin 2020)
Sigrid Nunez
Sempre Susan – Erinnerungen an Susan Sontag
141 Seiten
(Aufbau 2020)