Nicht Ausserirdische bevölkern den Erzählband der deutschen Buchpreisträgerin Terézia Mora, sondern ganz normale Menschen. Solche allerdings, die sich oft fremd fühlen – sich selbst und anderen gegenüber. Sie pflegen ihre Eigenarten, haben eine Trennung oder einen anderen Verlust hinter sich. In ihrer Einsamkeit leben sie mit ungestillten Wünschen, suchen nach zwischenmenschlicher Wärme.
So wie das junge Paar in der titelgebenden Erzählung «Die Liebe unter Aliens». Es lebt in einer winzigen Einraumwohnung, «kalt wie das Weltall». Der 20-jährige Tim schlägt sich in einer Koch-Lehre durch, die 18-jährige Sandy «hat gar nichts». Beide stehen verloren in der Welt. Tim etwa hat der Tod seiner Mutter aus der Bahn geworfen: «Ich habe nicht gewusst, dass ich nicht weiss, wie man ohne sie lebt.» Seither gerät er schnell in Panik, «die kleinste Kritik oder Korrektur dringt wie Messerstiche in ihn ein». Glück hat er mit seiner Chefin: Die ältere, geduldige Polin Ewa hat den feinnervigen Tim unter ihre Fittiche genommen, versorgt ihn und seine Freundin, von der sie allerdings nicht viel hält, mit dem Nötigsten. Sandy und Ewa sind Tims Stütze in unsteten Zeiten. Doch dann verschwindet Sandy bei einem Ausflug ins Grüne spurlos, nur ihr Abdruck im Gras bleibt kurzzeitig zurück. Mit Ewa macht er sich auf die Suche nach seiner Freundin – vergeblich. Ein paar Monate später verschwindet auch Tim. Das fragile Band zwischen den dreien hat sich aufgelöst.
Das Ungesagte leuchtet zwischen den Zeilen auf
Die vielfach ausgezeichnete Autorin und Übersetzerin Terézia Mora, die zweisprachig in Ungarn aufgewachsen ist und seit 1990 in Berlin lebt, erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven. Auch innerhalb einer Geschichte ändert sie den Blickwinkel, verfolgt etwa Tims Spur, bis sie plötzlich auf Ewas Spur wechselt. So entsteht auf wenigen Seiten ein vielschichtiges Bild der Figuren, in dem zwischen den Zeilen das Ungesagte aufleuchtet.
Gemeinsam ist den Protagonisten ihre Zerbrechlichkeit. Sie erwecken den Eindruck, als hätten sie eine zu dünne Haut für die raue Welt. Oft geben ihnen ihre Rituale etwas Trost: Für den Mann in der Erzählung «Fisch schwimmt, Vogel fliegt» ist es das Rennen. Er hat niemanden, nur einige entfernte Bekannte, die ihn den «Marathonmann» nennen. Die ängstliche Künstlerin, die illegal im Land lebt und sich und ihren untätigen Freund mit Putzen über Wasser hält, findet Trost beim Velofahren. Der junge Rezeptionist, der sich von seinen Freunden entfremdet hat, erfährt innere Ruhe beim Betrachten des Sonnenaufgangs im Rückspiegel, wenn er mit dem Auto zur Arbeit fährt. Und für die Wissenschaftlerin, die sich nach der Trennung von ihrem Freund von einem Auslandsaufenthalt zum nächsten treiben lässt, wird das Laufen am Fluss zum stillen Glück, schliesslich zu einem Zwang. Stets in rastloser Bewegung fliehen sie alle vor sich selbst, der stillstehenden Zeit und finden vielleicht Trost in einer flüchtigen Begegnung.
Lesungen
Di, 15.11., 19.15 Aargauer Literaturhaus Lenzburg
Mi, 16.11., 20.00 Shedhalle Zug
Buch
Terézia Mora
«Die Liebe unter Aliens»
272 Seiten
(Luchterhand 2016).
Terézia Mora in Basel
Das Internationale Literaturfestival BuchBasel wartet wieder mit zahlreichen Highlights auf: Rund 100 Veranstaltungen mit bekannten Autorinnen und Autoren sowie Newcomern stehen auf dem Programm – von Franz Hohler und Ilma Rakusa bis Michael Fehr, von Christoph Ransmayr bis Ingrid Noll. Am Festival liest auch Terézia Mora aus ihrem neuen Roman (Sa, 12.11., 11.00) und diskutiert mit den Autoren Irena Brezna, Amir Kamber und Jonas Lüscher zu den Themen Heimat, Zugehörigkeit und Identität (Sa, 12.11., 14.30). Zum Festivalabschluss wird der Schweizer Buchpreis verliehen.
BuchBasel
Fr, 11.11.–So, 13.11.
www.buchbasel.ch