Erzählband: Gnadenloser Blick in Innenwelten
Der Erzählband «Ladies» mit frühen, zum Teil unveröffentlichten Kurzgeschichten zeigt Patricia Highsmiths Flair für die Abgründe im Menschen – und ihren bissigen Humor.
Inhalt
Kulturtipp 01/2021
Letzte Aktualisierung:
21.12.2020
Babina Cathomen
Sehnsucht und Leidenschaft, rasende Eifersucht und lodernde Wut: Die in Texas und New York aufgewachsene Autorin deckt in ihren Romanen auf subtile Art das ganze Spektrum menschlicher Gefühle ab – insbesondere die dunklen Seiten. Patricia Highsmith (1921–1995) war eine Meisterin des Psychothrillers. Wo ihre raffinierte Erzählkunst ihren Anfang nahm, zeigt nun der Band «Ladies» mit Erzählungen aus den 40er-Jahren. Bevor die Autorin mit ihrem Roman «...
Sehnsucht und Leidenschaft, rasende Eifersucht und lodernde Wut: Die in Texas und New York aufgewachsene Autorin deckt in ihren Romanen auf subtile Art das ganze Spektrum menschlicher Gefühle ab – insbesondere die dunklen Seiten. Patricia Highsmith (1921–1995) war eine Meisterin des Psychothrillers. Wo ihre raffinierte Erzählkunst ihren Anfang nahm, zeigt nun der Band «Ladies» mit Erzählungen aus den 40er-Jahren. Bevor die Autorin mit ihrem Roman «Zwei Fremde im Zug» 1950 bekannt und von Filmemacher Alfred Hitchcock entdeckt wurde, veröffentlichte sie Storys in unterschiedlichen Magazinen. «Ladies» versammelt nun erstmals diese Geschichten in einem Band und fügt fünf bisher unveröffentlichte hinzu.
Zur weltweiten Erstveröffentlichung in Buchform gehört die Erzählung «Die Legende des Klosters von Saint Fotheringay». Hier führt Highsmith ihre Leserinnen mit bissigem Humor in ein Kloster, in das kein Mann seinen Fuss setzen durfte. «Kurz und gut, es gab keinen einzigen männlichen Organismus auf dem Gelände, abgesehen von etwaigen Insekten», hält sie trocken fest. Die Klosterschülerinnen lernen von den leicht beschränkten Nonnen, dass das männliche Geschlecht ausgestorben ist. Doch dann findet Schwester Killiecrankie eines Tages ein schutzloses Kleinkind und nimmt es ins Kloster mit. Die Nonnen nennen das Kind Mary – obwohl es offensichtlich ein Junge ist. Und mit dem männlichen Gast wird selbstredend die Ruhe im Kloster gründlich gestört, und die Story rast auf ein explosives Ende zu …
Szenen einer tragischen Ehe
Während Highsmith in dieser Geschichte vor allem ihren Sinn für Ironie spielen lässt, leuchtet sie in anderen Stories die menschliche Seele gnadenlos aus. Etwa in der bisher unveröffentlichten Erzählung «Primeln sind rosa»: Auf wenigen Seiten entwirft sie hier das triste Bild einer Ehe zwischen dem scheuen Theodore und seiner gleichgültigen Frau Catherine, die ihn offensichtlich verachtet oder zumindest nicht ernst nimmt. Seine Freude über ein neu gekauftes Bild vermag sie mit wenigen Fragen zu zerstören. Highsmith zeigt alltägliche Bosheiten wie diese genauso wie das Inferno: In der Geschichte «Die Heldin» erzählt sie etwa vom Kindermädchen Lucille, das in einer verqueren Logik das Haus anzündet, damit sie die Kinder retten kann und als Heldin gefeiert wird.
Nicht alle Geschichten im Band sind ausgereift, aber sie zeigen bereits Patricia Highsmiths erzählerisches und psychologisches Geschick sowie ihr Interesse an den Abgründen im Menschen – von den Normalos mit Neurosen bis zum Psychopathen.
Zum 100. Geburtstag der Autorin am 19. Januar hat der Diogenes Verlag einige Taschenbuch-Neuauflagen von ihren Romanen herausgebracht. Besonders gespannt sein kann man auf Highsmiths Tage- und Notizbücher, die im kommenden Herbst weltweit erstmals veröffentlicht werden und vielleicht noch neue Facetten dieser ambivalenten und faszinierenden Autorin erschliessen.
Buch
Patricia Highsmith
Ladies – Frühe Stories
320 Seiten
(Diogenes 2020)