Es hört sich an wie ein modernes Märchen: Eine arabische Prinzessin verliebt sich in einen Fremden, brennt durch und lässt sich im Land ihres Geliebten nieder.
1866 soll sich diese Geschichte tatsächlich so zugetragen haben: Salme ibn Said ist die Tochter von Said ibn Sultan, des Herrschers von Oman und Sansibar. Mit 22 Jahren verliebt sie sich auf mysteriöse Weise in den deutschen Kaufmann Heinrich Ruete; sie wird schwanger und flieht, konvertiert zum Christentum und reist verheiratet als Emily Ruete nach Hamburg – in eine neue Heimat, die ihr Zeit ihres Lebens fremd bleibt. «Ich verliess meine Heimat als vollkommene Araberin und als gute Mohammedanerin, und was bin ich heute? Eine schlechte Christin und etwas mehr als ein halbe Deutsche», so ist das bittere Fazit, das Emily Ruete im Verlauf ihres Lebens zieht.
Der Schriftsteller Lukas Hartmann hat in «Abschied von Sansibar» ein bewegendes Einzelschicksal aufgegriffen. Und ist bei seinen Recherchen über Prinzessin Salme auf weit mehr als eine Liebesgeschichte aus der deutschen Kolonialzeit gestossen: Hartmann greift nebst dem Leben Emily Ruetes alias Salme auch dasjenige ihrer Nachfahren auf und schreibt über Heimatlosigkeit, über Integration und das Aufkeimen des Nationalsozialismus.
Die Rolle Deutschlands
Das Deutsche Reich erhebt nach seiner Gründung 1871 Anspruch auf Sansibar. Doch die Insel kommt 1890 unter die Schutzherrschaft Grossbritanniens. Und in Europa breitet sich zusehends der Nationalismus aus – bis zum Zweiten Weltkrieg.
Mitten in diesem Geschehen entwickelt sich die Geschichte der Familie Ruete. Durch den tragischen Unfalltod ihres Mannes früh zur Witwe geworden, schlägt sich Emily Ruete mit ihren drei Kindern durch. Sie will sich integrieren, übt sich in deutscher Disziplin und vermittelt ihren Nachkommen die guten deutschen Werte nach bestem Wissen und Gewissen. Dies gelingt nur zum Teil, denn zu sehr werden die Kinder von den stummen Selbstzweifeln der Mutter und ihrem Schmerz über ihre verlorene Heimat geplagt. «Das Gewicht ihrer Trauer lastete auch auf uns und hat unser Leben überschattet, jahrelang», schreibt ihre älteste Tochter Antonie später über ihre Mutter. Gut gebildet, gut verheiratet und wertkonservativ erzogen, werden ihre Nachfahren selbst zu Suchenden. Und bleiben bis zu ihrem Tod zerrissen zwischen den Welten von Okzident und Orient.
Die Schicksale von Salme und ihren Kindern hat Schriftsteller Lukas Hartmann zu einer Familiensaga verwoben – spannend, faktenreich, berührend und einfühlsam.
Lesungen
Do, 12.9., 20.00
Bibliothek Stäfa ZH
Mi, 18.9., 20.00
Bibliothek Riggisberg BE
Lukas Hartmann
«Abschied von Sansibar»
336 Seiten
(Diogenes 2013).
Vier Fragen an Lukas Hartmann – «Einen derart düsteren Kontrast habe ich nicht erwartet»
kulturtipp: Lukas Hartmann, wie sind Sie auf den Stoff Ihres neuen Romans gestossen?
Lukas Hartmann: Freunde von mir haben auf einer Afrikareise das Palastmuseum in Sansibar besucht. Darin ist ein Raum der Prinzessin Salme und ihrer Flucht aus dem Sultanspalast gewidmet. Als sie mir davon erzählten, war ich vom Leben dieser Frau fasziniert und ging ihrer Geschichte nach.
Und blieben hängen?
Ja, es folgte eine ziemlich lange, ausgiebige Recherche über die Prinzessin Salme alias Emily Ruete. Aber mehr noch: Nebst Salmes Leben fing mich auch das Schicksal ihrer drei Kinder in den Bann zu ziehen. Entstanden ist eine Familiensaga, die bei der Flucht der Mutter 1866 beginnt und mit dem Tod ihres Sohnes Said 1946 endet.
Ja, ich merkte, wie prägend all das Erlebte und Erfahrene von Salme für die Nachfahren war. Etwa für Said: Er war deutscher Militärattaché in Beirut und Eisenbahninspektor in Ägypten, dann wurde er zum Pazifisten und deswegen als Landesverräter denunziert. Zeit seines Lebens zwischen zwei Welten hin- und hergerissen, wollte er versöhnen und vermitteln: Zwischen West und Ost, zwischen Palästinensern und Juden, Deutschen und Engländern. Unermüdlich. Aber er scheiterte immer wieder.
Gab es bei der Recherche Erkenntnisse, die Sie überraschten?
Die Mutter hat ja nie wirklich erzählt, was zwischen ihr und dem Kaufmann abgelaufen ist. Dieses Geheimnis hat sie mit ins Grab genommen. Erstaunt war ich dann, als ich ihre 1999 herausgegebenen «Briefe nach der Heimat» fand. Da wurde mir bewusst, welch enormer Gegensatz es gab zwischen den farbenfrohen Schilderungen ihrer Kindheit in Sansibar und der Zeit, in der sie sich in Deutschland zu integrieren versuchte, wo ihr Heimweh immer stärker und der Kampf um ihr Erbe immer aussichtsloser wurde. Das muss unglaublich schmerzhaft gewesen sein für sie. Einen derart düsteren Kontrast habe ich nicht erwartet.