Der «Grosse Zabbatini» alias Mosche Goldenhirsch hat seine besten Jahre längst hinter sich. 1934 hatte er als 15-Jähriger seine Heimatstadt Prag verlassen, um sich einem Zirkus anzuschliessen. Seine jüdische Identität legte er ab, zumal es «kein günstiger Zeitpunkt war, Jude zu sein». Die Karriere begann er mit dem Schaufeln von Elefantenmist. Steil bergauf ging es, als Mosche mit der glutäugigen Zauberer-Assistentin nach Berlin durchbrannte: In der Rolle des «Grossen Zabbatini» bestritt er mit ihr seine eigene Illusionisten-Show, die legendär werden sollte. Doch über 70 Jahre später ist vom einstigen Zauber nicht mehr viel übrig: Der grantig gewordene Mosche fristet sein Leben in einem abgewrackten Altersheim in Los Angeles.
Als der 10-jährige Max bei ihm auftaucht, ist Mosche im Begriff, mit Hilfe des Gashahns das Zeitliche zu segnen. Doch der Junge greift beherzt ein und bekommt zum Dank, dass er dem alten Zauberer das Leben gerettet hat, wüste Beschimpfungen zu hören. Ebenso wenig hält Mosche von Max’ Plan: Der Junge hat eine alte Platte gefunden, auf dem ein Liebeszauber des «Grossen Zabbatini» zu hören ist. Max erhofft sich vom Magier, dass er seine kurz vor der Scheidung stehenden Eltern wieder zusammenführt. «So einen Quatsch habe ich ja noch nie gehört», ist die Antwort des alten Mannes.
Leichtfüssiger Roman
Aber nachdem er aus dem Seniorenheim geflogen ist und ohne Unterkunft dasteht, erinnert er sich an den Jungen: «Ein Idiot wie der hatte sicher idiotische Eltern. Und die mussten ja irgendwo wohnen.» So landet der alte Zauberer beim 10-jährigen Max und verspricht ihm, den Liebeszauber bei seinen Eltern anzuwenden. Obwohl der mürrische Alte Kinder nicht ausstehen kann, entsteht zwischen den beiden eine Art Freundschaft.
Der in Los Angeles lebende deutsche Autor Emanuel Bergmann hat einen leichtfüssig-witzigen Debütroman geschrieben. Mit einem Gespür für Tempo und Dramaturgie verknüpft der Schriftsteller, der in der Filmindustrie tätig war, die Geschichten aus zwei Kontinenten und zwei Generationen. Besonders die Lebensgeschichte des alten Zauberers vermag die Leser in den Bann zu ziehen. Der Magier kann sich dank seiner Tricks sogar in den Kriegsjahren durchschlagen: «Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei war ein Sammelbecken für Dumme, daher war es nicht weiter verwunderlich, dass aus ihren Reihen einige seiner treusten und leichtgläubigsten Kunden kamen», stellt er fest. Zu den Kunden von Zabbatini, der sich als persischen Edelmann ausgibt, gehört auch Hitler persönlich, dem er in einer Voraussage weiszumachen versucht, dass er den grossen Frieden bringen wird. Doch als ein alter Konkurrent der Gestapo Mosches jüdische Identität verrät, fliegt er auf und kommt ins Konzentrationslager nach Theresienstadt.
Emanuel Bergmann scheut sich in seinem Roman nicht vor schweren Themen. Unter anderem verhandelt er auch den Generationenkonflikt zwischen den kriegsgeprägten Alten und ihren Kindern sowie Enkelkindern, die es leid sind, immer wieder von den traumatischen Erlebnissen zu hören. In Bergmanns Roman nähern sich die Generationen einander an – der Zauberei sei dank.
Lesung
So, 13.3., 14.00 Kulturhaus Helferei Zürich
Buch
Emanuel Bergmann
«Der Trick»
400 Seiten
(Diogenes 2016).
Sechs Fragen an Schriftsteller Emanuel Bergmann
«Ich würde mich auf das Herbeizaubern von Hasen konzentrieren»
kulturtipp: Herr Bergmann, die Zauberei spielt in Ihrem Roman «Der Trick» eine grosse Rolle. Was fasziniert Sie an der Magie?
Emanuel Bergmann: Wenn einem guten Zauberkünstler ein verblüffender Trick gelingt, dann ist das für uns Zuschauer ein wunderschönes Gefühl, ein Staunen, ein Zweifeln an der Wirklichkeit. Eine Verzauberung eben. Illusionen haben etwas Gewaltiges, etwas Erhabenes. Das liebe ich, egal, ob auf der Bühne, im Kino oder
in den Seiten eines Buchs.
Ihr Protagonist Max erhofft sich, mit Magie die Scheidung seiner Eltern zu verhindern. Wenn Sie selbst ein Zauberer wären, was würden Sie aus dem Hut zaubern?
Es liegt in der Natur der Zauberei, dass sie nicht echt ist – leider. Es wäre schön, wenn man mittels Zauberei mal schnell Hunger, Elend und Krieg beenden könnte, aber es scheint ja nicht so recht zu klappen. Die Zauberei ist eben eine Illusion. Sie macht das Leben nicht besser, aber erträglicher. Das ist schon mal was. Wenn ich Zauberer wäre, würde ich mich auf das Herbeizaubern von Hasen konzentrieren. Kaum etwas beglückt Kinderherzen so sehr wie süsse Häschen. Männerherzen übrigens auch, aber das steht auf einem anderen Blatt.
Geschichten erzählen, neue Welten erfinden ist auch eine Form von Magie. Sie sind nach der Arbeit in der Filmindustrie in Los Angeles wieder bei der Literatur gelandet. Lassen sich in Büchern fantasievollere, magischere Welten erfinden als im Film?
Auf jeden Fall. Filme zu sehen ist ein Vergnügen, Filme zu machen ein Albtraum. Beim Drehen hat man es mit schlecht gelaunten Schauspielern zu tun, mit garstigem Wetter und allen möglichen Widrigkeiten. Alles geht schief. Es ist ermüdend. Vor einigen Jahren stand ich um fünf Uhr morgens an einem Filmset im Matsch, es regnete, mir war kalt, ich war müde. Da dachte ich mir: Warum tue ich mir das an? Beim Schreiben hat man dieses Problem nicht. Man setzt sich hin und lässt sich treiben. Es ist ein Traum.
Der 10-jährige Max im Roman glaubt beharrlich an die Magie, «an etwas, das wahrhaftiger ist als die vertraute Welt». Er will die harte Realität verzaubern. Ein guter Trick?
Absolut. Ohne die Verzauberung der harten Wirklichkeit würden wir am Leben verzweifeln. Deswegen glauben die Menschen an Gott – wir müssen an etwas glauben, das uns das Dasein versüsst, das Erlösung vom irdischen Leid verspricht, sonst würden wir wahnsinnig werden. Und wer nicht an Gott glaubt, dem bleiben immer noch zweitklassige Varieté-Künstler, die Tauben aus den Ärmeln ziehen. Besser als nichts.
Ihr zweiter Held Mosche wird als Jude von den Nationalsozialisten verfolgt, ebenso Max’ Grossmutter. Haben Sie einen persönlichen Bezug zu dieser Thematik?
Meine Familie väterlicherseits ist jüdisch, meine Oma hat das KZ überlebt. Das hat nicht nur sie selbst, sondern auch die nachfolgenden Generationen stark geprägt. Meine Oma sprach immer von Verwandten, die ich nie kennengelernt habe, weil sie ermordet wurden. Dieser Zweig der Familie wurde fast ganz ausgelöscht. Mir kam es als Kind immer so vor, als würde ich auf einem Friedhof aufwachsen.
Sie pendeln in Ihrem Roman zwischen zwei Kontinenten, zwei Generationen: Warum wollten Sie diese beiden Geschichten zusammenbringen?
Weil ich es selber so empfinde. Die deutsche Vergangenheit ist mir sehr präsent. Nicht nur wegen meiner eigenen Familie, sondern weil man in Deutschland ständig auf Spuren der Vergangenheit stösst. Als ich nach Los Angeles ausgewandert bin, habe ich eine neue Welt kennengelernt, eine unverbrauchte Welt. Aber in dieser Welt habe ich selbst schmerzliche Erfahrungen sammeln müssen, unter anderem habe ich, wie Max’ Eltern, eine Scheidung durchgemacht. All das schlummerte in mir, und ich wollte eine Geschichte erzählen, die das alles miteinander verbindet: die alte und die neue Welt, die Emigration, das Ende der Kindheit, das Erwachen aus der Illusion.