Elmar Weingarten - Ein Herr alter Schule mit grosser Gelassenheit
Elmar Weingarten ist Indentant der Tonhalle-Gesellschaft Zürich. Und er hat die Leitung der Zürcher Festspiele von Alexander Pereira übernommen.
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Kulturtipp 12/2012
Christian Berzins
Elmar Weingarten ist ein grosser und doch unscheinbarer 70-jähriger Mann der Gelassenheit: Auf den ersten Bick erkennt keiner, dass er seit Jahrzehnten ein erfolgreicher Konzertintendant ist und somit Emotionen verkauft – seit fünf Jahren in Zürich. Nichts hängt er an die grosse Glocke wie seine jüngeren aufstrebenden Kollegen Andreas Fleck in Boswil oder Numa Bischof in Luzern – oder wie sein Zürcher Pendant Alexander Pereira drüben in der Oper....
Elmar Weingarten ist ein grosser und doch unscheinbarer 70-jähriger Mann der Gelassenheit: Auf den ersten Bick erkennt keiner, dass er seit Jahrzehnten ein erfolgreicher Konzertintendant ist und somit Emotionen verkauft – seit fünf Jahren in Zürich. Nichts hängt er an die grosse Glocke wie seine jüngeren aufstrebenden Kollegen Andreas Fleck in Boswil oder Numa Bischof in Luzern – oder wie sein Zürcher Pendant Alexander Pereira drüben in der Oper. «Verehrtes Publikum» spricht der Deutsche im Tonhalle-Magazin seine Besucher formvollendet an. Alte Schule.
Voller Zuversicht
Seit Jahren ist die 130-Millionen-Budget-Oper Zürcher Stadtgespräch, derweil es um die Tonhalle mit ihren 29 Millionen unheimlich still ist. Die Zuschauerzahlen sinken, das Gebäude ist sanierungsbedürftig. Der kaum Deutsch sprechende Chefdirigent David Zinman ist ausserhalb der Zürcher Klassikkreise trotz 16-jähriger Präsenz wenig bekannt. Und bedenklich: Präsident, Intendant und Chefdirigent verlassen die Institution in den nächsten zwei Jahren. «Ist das Schiff auf Kurs?», fragte die Tonhalle-treue «NZZ» vor kurzem.
Weingarten reagiert ruhig auf die Vorwürfe. Sein belehrender Ton hängt mit der Sicherheit der Argumente zusammen. «Oper ist immer und überall etwas anderes. Da gibt es sowohl für die Presse als auch fürs Publikum andere Anknüpfungspunkte», sagt er. Gespannt ist der Deutsche auf den ästhetischen Wandel, den Andreas Homoki als neuer Opernhaus-Direktor und Nachfolger von Alexander Pereira ab Herbst anstrebt: «Ich unterstütze das sehr, da solche Entwicklungen andere mit sich ziehen.»
Auch die Tonhalle? Guttun würde es ihr, womit wir beim Publikum oder dem seit 1995 in Zürich arbeitenden Chefdirigenten David Zinman wären. Doch auf Zinman lässt Weingarten gar nichts kommen. Und wenn man auf das fehlende Charisma und seine Nicht-Präsenz in der Stadt hindeutet, sagt er: «David ist eine Persönlichkeit, die man anders interpretieren muss als Stars wie Gustavo Dudamel oder Zubin Mehta. Seine Energie geht ins Orchester und nicht in die Selbstdarstellung.»
Zinmans Verdienst
Dank Zinmans Arbeit hat das Orchester international einen bedeutenden Ruf, zu dem auch die zahlreichen CD-Aufnahmen beitragen. Aber nach 16 Jahren scheint beim einen oder anderen Konzert, beim einen oder anderen Musiker die Spannung verflogen. Elmar Weingarten empfindet es nicht so. Er verweist darauf, dass das Orchester Zinman gefragt habe, wie lange er bleiben möchte. «Das Verhältnis von Orchester zu David Zinman ist von Dankbarkeit und Sympathie geprägt.»
Auch die Zürcher mögen David Zinman, vor allem wenn er das dirigiert, was sie schon kennen. Und so fällt es schwer, in der Programmierung noch mehr Mut zu zeigen. Die Konzerteinnahmen sind 2011 nämlich im Vergleich zur Vorsaison um rund zehn Prozent auf gut sechs Millionen Franken zurückgegangen. Um fast sieben Prozent rückläufig war die Zahl der verkauften Abonnemente, um fünf Prozent jene der Konzertbesucher mit 103 000 Eintritten. Die Auslastung liegt bei 72 Prozent. Dennoch liegt der gesunkene Eigenwirtschaftlichkeitsgrad immer noch bei 43 Prozent.
Umbau der Tonhalle
Der wegen seiner Akustik vielgelobte Tonhalle-Saal beziehungsweise das Gebäude ist kurioserweise mit ein Grund für den Zuschauerrückgang. Die Umgebung und die Einbettung eines Konzerts sind viel wichtiger als früher geworden. «Der Gang in die Zürcher Oper ist ein gesellschaftliches Ereignis. Alles ist festlich, mitsamt dem Pausenbuffet – das gibt es in der Tonhalle nicht. Der Saal wurde in den letzten Jahrzehnten siebenmal überpinselt und wird dennoch immer grauer», so Weingarten. Aber wenn er in einigen Jahren wieder wie früher erstrahle, werde er ein Mittelpunkt des deutschschweizerischen Kulturlebens sein. Der Tonhalle-Umbau in der Saison 2014/15 macht Weingarten das Leben zusätzlich schwer. Er fällt nämlich mit seinem und mit dem Abgang des Chefdirigenten zusammen. Der Neue wird in der Übergangsphase wohl den Stadthof 11 anstatt den Tonhalle-Saal kennenlernen.
Woher neues Publikum gewinnen? Zum Beispiel mit dem neu geschaffenen Familien-Abo für die Saision 2012/13. Auch in der Musikvermittlung tut sich viel, mit der Reihe «Tonhalle Late» spricht man ein Partypublikum erfolgreich an. Doch die Generation zwischen 15 und 35 Jahren bleibt schwer erreichbar. Von ihr ist der Intendant enttäuscht. «Wenn sie mal neben Pop/Rock etwas aus der E-Musik hören wollen, dann eher etwas sehr Klassisches. Sie sind nicht neugierig auf Klänge eines innovativen Komponisten wie Luigi Nono. Sie kennen solche musikalischen Schrittmacher nicht und empfinden keinen Reiz darin, sich mit deren Musik auseinanderzusetzen.» Aber auch von den Musikhochschulen oder den Universitäten besuche kaum jemand die Konzerte. Früher sei das anders gewesen. Zweimal sagt Weingarten auch «nach dem Krieg», redet also von einer Zeit, die kein Massstab sein kann.
Auch wenn Weingartens Tonhalle-Zeit 2015 zu Ende geht, ist seine Zürcher Zeit vielleicht noch nicht abgeschlossen. Nachdem er von Alexander Pereira die künstlerische Leitung der Zürcher Festspiele übernommen hat, gibt es Vorstellungen, dass er diese behalten soll. Die trotz Geld und Hansdampf Pereira nie in der Zürcher Bevölkerung angekommenen Festspiele zeigen 2012 ein in sich erstaunlich geschlossenes Programm. Mit Ruhe, Klarheit und viel Sachverstand wurde es gestaltet. Jetzt müsste es nur noch jemand an die grosse Glocke hängen, damit das Publikum es merkt.
Elmar Weingarten
Elmar Weingarten wurde 1942 im oberschlesischen Gleiwitz geboren. Seine Eltern waren Kriegsflüchtlinge, Weingarten studierte in Köln Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre und Soziologie. Seine Affinität zur Musik liess ihn schon bald als Intendant tätig werden. Er leitete namhafte deutsche Festivals und Orchester. Im August 2007 wurde er zum Intendanten der Tonhalle-Gesellschaft Zürich ernannt.