Wie das in den Wäldern aussieht, meinte Onkel !G! wieder mal lauter als nötig. Wenn man da endlich mal aufräumen würde, gäbs auch keinen Borkenkäfer. Da hockt er, der Borkenkäfer, in dem Gschmäus, das überall rumliegt. Da muss man sich nicht wundern. Onkel !G! war Experte fürs Forstwesen und für Tiere. Genau genommen war Onkel !G! Experte für alles, also für überhaupt nichts.
Nicht mal für Hundeerziehung, auch wenn er einmal seinen Hund pädagogisch in den Schwanz gebissen hat, als sein sonst so ergebener Freund versucht hatte, nach ihm zu schnappen. Ob sich diese Episode eigenwilliger Hundeerziehung im Wald ereignet hat, weiss ich leider nicht.
Aber Onkel !G! war gelegentlich im Wald unterwegs und hat sich halt seinen Teil gedacht. Das war damals, als man gross übers Waldsterben debattiert hat. Das ist schon ein paar Jahre her, und mittlerweile hat der Wald eher Probleme mit fehlendem Wasser als mit zu viel saurem Regen. Aber wie dem auch sei, das Waldsterben hat sich damals als medial wahrnehmbare Bedrohung bald erledigt, weil man ohne grosses Tamtam die wirksamste mögliche Massnahme ergriffen hat: Der Kapitalismus hat über den Sowjetkommunismus gesiegt.
Die marode osteuropäische Schwerindustrie ist zusammengebrochen, und unzählige Millionen Tonnen schwefelhaltiger Abgase blieben dem Wald erspart. Ein wohl einmaliger Glückstreffer des Kapitalismus, der sonst in Sachen Umweltschutz – sagen wir mal so – eher zu den Minderperformern zu rechnen ist. «Der Wald lebt also vorläufig noch; Onkel !G! nicht.»
Der Wald lebt also vorläufig noch; Onkel !G! nicht. Er wusste über eigentlich alles Bescheid und tat das auch gern und laut kund. Mit ihm ist ein markanter Bescheidwisser von dieser Welt gegangen. Apropos Bescheidwisser und Wald, das bringt mich zur Frage, wieso sich Leute, denen ein gewisses Gewicht beigemessen wird – von sich selbst oder im besseren Fall von anderen –, wieso sie sich so gern vor Büchern ablichten lassen.
Natürlich nicht vor einzelnen Büchern, sondern vor ganzen Regalen, in denen wie die Stämme in einem schönen Mischwald – bevor man ihn für die Papierproduktion aberntet – ein Buchrücken neben dem andern steht. Man geht davon aus, wer so viele Bücher um sich hat, weiss viel, also Bescheid. Das ist sonderbar, denn gerade in der Wissenschaft spielen gedruckte Bücher eine immer geringere Rolle. Als Fotohintergrund machen sie aber immer noch was her.
Eine Fototapete reicht so wenig wie ein Zoom-Hintergrund. Das muss schon echt aussehen. Am besten mit etwas kreativer Ordnung, als ob der Platz sehr knapp wäre und als ob täglich mit den Büchern gearbeitet würde. Gibt es in einem Büro keine oder zu wenig Bücher, begibt man sich gern in eine wissenschaftliche Bibliothek. Wissenschaftliche Bibliotheken haben meist immer noch schöne Bücherwände, auch wenn der grösste Teil ihres genutzten Bestandes elektronisch ist.
Lars Klingbeil, einer der Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokratischen Partei, liess sich das eine oder andere Mal nicht vor Büchern, sondern mit einer E-Gitarre ablichten. Mit einer Les Paul. Die Les Paul ist ein musikhistorisches Monument. Klingbeil aber hängte sich – und das ist der feine Unterschied – nicht die Les Paul von Gibson um, sondern die von Epiphone, also von Gibsons Zweitmarke. Das Signal ist klar: geschichtsträchtig, solid gemacht, aber auch mit kleinerem Budget erschwinglich.
Dass diese Gitarre mit Bedacht ausgewählt wurde, ist anzunehmen. Lars Klingbeil wird mehr als nur eine Gitarre haben. Meines Wissens gibt es keine E-Gitarristinnen und Gitarristen, die nur ein Instrument besitzen. Steht da einer wie Klingbeil mit einer Gitarre, fragt man sich unwillkürlich, wie der wohl spiele. Bücher haben eine andere Aura. Da fragt man sich nicht, hat der oder die das alles gelesen und vor allem: begriffen und kapiert.
Nein, man ist beeindruckt. Bücher bieten einen Beeindruckungs-Vorschuss. Wie wirkungsmächtig, aber zugleich fragil dieser Eindruck ist, lässt sich mit einem einfachen Versuch zeigen. Stellen Sie sich vor, die Person, die vor dem Bücherregal posiert, halte eine Bierflasche in der Hand. Da verfliegt die Aura der Büchersammlung rasch. Vielleicht ist der Effekt mit einer Flasche Rotwein (vom guten) nicht ganz so ausgeprägt. Und vor ein paar Jahrzehnten hätte auch noch eine Tabakpfeife auf dem Bild gut Platz gefunden und perfekt mit den Büchern harmoniert.
Das hat sich gründlich geändert. Klares Denken verbindet kaum mehr jemand mit einem qualmenden Stück Edelholz, an dem man nuckelt. Das erinnert mich an die ersten Jahre meines Studiums, als auf den Tischen der Seminarräume noch ganz selbstverständlich Aschenbecher standen. Ein Teil der Institutsbibliothek war im Büro der Assistenten untergebracht, die allesamt Pfeifenraucher waren.
Ich kann es nicht belegen, aber ich gehe davon aus, dass diese Bücher am wenigsten ausgeliehen wurden; nicht, weil sie uninteressant gewesen wären, nein, ich fürchte, man hat sie einfach nicht gut genug sehen können. Für ein Foto hätte das ganz und gar nicht getaugt. Ich spiele übrigens mit dem Gedanken, einen Grossteil meiner Bücher wegzugeben (entsorgen darf man bei Büchern nicht sagen, wegen der Aura). Wie immer man dieses Entrümpeln nennen will, ich hätte hier wieder etwas mehr Platz, zum Beispiel für meine Gitarren.
Zur Person
Elio Pellin (* 1964) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im OpenScience-Team der Universitätsbibliothek Bern und Autor. In seinem Rätselroman «Der Himmel als Abgrund über euch» kommt eine Bierflasche vor, und für seinen Interview-Kurzroman «Wilder Beat. Wilde Zeiten – Die Geschichte der Silver Biscuits» hat er mit den Mitgliedern einer Band gesprochen, die es nie gegeben hat. Beide Bücher sind im Songdog Verlag erschienen.