kulturtipp: Wie gehen Sie mit dem Druck im Filmbusiness um?
Seraina Rohrer: Druck ist für mich nicht grundsätzlich negativ. Die Branche übt ja nicht nur Druck aus, sondern gibt auch viele Inputs. Die Solothurner Filmtage wollen den Filmschaffenden eine Plattform geben. Für die Filmselektion ändern wir deshalb immer wieder die Zusammensetzung der Auswahlkommission, damit wir nicht zu einem eingeschworenen Haufen werden, dem man Voreingenommenheit vorwerfen könnte.
Es gibt Leute, die aus Prinzip keine Schweizer Filme schauen und der Meinung sind, die seien für die Katz. Was sagen Sie dazu?
Solchen Leuten schlage ich immer Filmtitel vor, die ein sehr hohes Niveau haben – Dokumentar- und Spielfilme, auf die man wirklich stolz sein kann. Ich glaube, dass diese Leute – ohne die Filme gesehen zu haben – schlicht nicht wissen, was der Mehrwert dieser Filme ist. Interessant ist, dass die Zuschauerzahlen in den Schweizer Kinos in den letzten Jahren rückläufig waren, bei den Schweizer Filmen jedoch konstant auf hohem Niveau geblieben sind.
Wie hat sich die Rolle der Frau in der Filmbranche verändert?
Sehr stark! Zuerst waren Regisseurinnen untervertreten. Mittlerweile gibt es aber viele Frauen, die im Bereich Film erfolgreich sind. An den Filmschulen schliessen ähnlich viele Frauen wie Männer ab.
Gehen Sie privat überhaupt noch ins Kino?
Ja, sehr gerne. Bei meinen privaten Kinobesuchen versuche ich jeweils, meinen Filmhorizont zu erweitern. Deshalb sehe ich nicht nur Schweizer Filme, sondern auch internationale Produktionen, auch gerne einmal einen Blockbuster.
Waren die Filmwissenschaften schon immer Ihr Traumberuf?
Nein, denn ich bin ohne Film und Fernsehen aufgewachsen. Meine Eltern haben mir als Kind gesagt, sie hätten keinen Fernseher. Als ich später herausfand, dass sie einen im Schrank versteckt hatten, und nach langem Gezwänge endlich ein Disney-Tape schauen durfte, war meine Freude an Filmen geweckt. Ich wollte Filme auf der grossen Leinwand sehen.
Neu gibt es ein Online-Portal mit dem Namen «CH-Film». Worum handelt es sich dabei?
Es war uns ein grosses Anliegen, den Schweizer Film und dessen Geschichte für alle ganzjährig zugänglich zu machen. Es entstand ein neuer spielerischer Zugang zur Filmgeschichte, aktuellen und vergangenen Schweizer Filmen. Diese Plattform zeigt zudem, ob ein Film bereits als DVD verfügbar ist und wo er gerade im Kino läuft.
In diesem Jahr werden viele starke Debütfilme von jungen Schweizer Filmschaffenden gezeigt. Wo steht der Nachwuchs im internationalen Vergleich?
Die Schweiz verfügt über vielversprechende Leute. Das Problem ist im Moment, dass wir seit der Abstimmung über die Zuwanderungsinitiative vom europäischen audiovisuellen Förderprogramm Media ausgeschlossen sind. So geht der Zugang zum europäischen Netzwerk verloren. Denn um mit dem Schweizer Film im Ausland erfolgreich sein zu können, brauchen wir das richtige Netzwerk. In den letzten Jahren gab es immer wieder starke Filme, die auch im Ausland erfolgreich waren.
Der Fokus des Schweizer Films hat sich seit den ersten Solothurner Filmtagen stark verändert. Wie beurteilen Sie die Verschiebung von der Politik zum Privatleben?
In den 80er-Jahren verstand man den Film als Waffe im Kampf für eine bessere Welt. Heute wollen die Filmschaffenden persönlichere Geschichten erzählen, die in der aktuell fragmentierten und individualisierten Welt jedoch nicht a priori apolitisch sein müssen. Ich glaube, es ist ein Bedürfnis der Filmschaffenden, diese komplexe Welt zu verstehen und mit grosser Neugier zu beleuchten. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Trend noch ein paar Jahre anhält.
Werden die Subventionen des Bundes zielgerecht eingesetzt?
Jetzt ist ja gerade die neue Kulturbotschaft in der Vernehmlassung, welche die Strategie für 2016 bis 2019 vorgibt. Ich bin der Meinung, dass nun erkannt wurde, wo die Probleme liegen, und begrüsse es sehr, dass eine Standortförderung in Planung ist.
Interview: Melanie Riedi
Seraina Rohrer
Die gebürtige Männedorferin studierte Filmwissenschaft und Publizistik an der Universität Zürich. Ihre Dissertation widmete sie dem Thema «Transnationale Low-Budget-Produktionen». Während mehrerer Jahre leitete sie das Pressebüro des Filmfestivals von Locarno, lebte und arbeitete zudem lange im Ausland. Seit August 2011 ist sie Direktorin der Solothurner Filmtage.
Solothurner Filmtage
Do, 22.1.–Do, 29.1.
www.solothurnerfilmtage.ch
www.ch-film.ch
Sehenswerte Filme in Solothurn
Unter der Haut
(Regie: Claudia Lorenz)
Eine langjährige Ehe gerät langsam aus den Fugen. Alice und Frank werden einander immer wie fremder – eine heftige Konfrontation ist vorprogrammiert. Als er endlich mit der Wahrheit herausrückt, durchläuft das Paar eine tiefe Krise: Alices Ehemann fühlt sich von einem Mann angezogen.
Mo, 26.1., 17.30 Konzertsaal
Abi Means Papa
(Regie: Armin Tobler & Simon Gutknecht)
Als junger Erwachsener entdeckt Armin seine Adoptionspapiere. Deshalb macht er sich in Indonesien auf die Suche nach seinen leiblichen Eltern. Zuerst lernt er seine Mutter kennen. Den Vater zu finden, gestaltet sich indes schwieriger. Armin erlebt nicht nur eine Suche, sondern auch eine Auseinandersetzung mit seiner Familie und deren Vergangenheit.
So, 25.1., 21.00 Kino Canva
Mo, 26.1., 12.15 Kino Canva Club
Freifall – Eine Liebesgeschichte
(Regie: Mirjam von Arx)
Mirjam von Arx, eine Filmerin aus Weinfelden, lernt die Liebe ihres Lebens kennen. Herbert, Base-Jumper aus Leidenschaft, will seine Traumfrau heiraten. Doch das Glück währt nur kurz – Herbert kommt in Lauterbrunnen beim Sport ums Leben. Und Mirjam erhält eine Krebsdiagnose. Eine schwere Zeit beginnt.
So, 25.1., 11.30 Konzertsaal
Mi, 28.1., 09.30 Kino Palace
L’abri
(Regie: Fernand Melgar)
Wer möchte bei Regen und Kälte schon unter freiem Himmel übernachten? Vor der Lausanner Notschlafstelle «L’abri» hoffen jeden Abend unzählige Obdachlose auf einen trockenen Schlafplatz. Weil es nicht für alle genug Platz gibt, fliegen beim Auswahlverfahren die Fetzen.
Fr, 23.1., 14.30 Landhaus
Mi, 28.1., 20.30 Landhaus
Sendungen zu den Solothurner Filmtagen
Fernsehen
SRF 1
So, 25.1., 11.55
«Sternstunde Kunst»
«Vom Querliegen: 50 Jahre neuer Schweizer Film»
Diskussion mit den Filmern Markus Imhof, Yves Yersin und Festivaldirektorin Seraina Rohrer
Do, 29.1. 00.10 «Tableau noir»
Dokumentarfilm von Yves Yersin
SRF 2
Mi, 28.1. 20.00 «Höhenfeuer»
Spielfilm von Fredi M. Murer
Radio
SRF 2 Kultur
Fr, 23.1., 10.03 «Reflexe»
«Versuch einer Solothurner
Chronik», mit Gertrud Pinkus und Clemens Klopfenstein
So, 25.1., 12.40 «Musik für einen Gast»
Mit Seraina Rohrer
Di, 27.1., 10.03 «Reflexe»
«Frische Zelle – der junge Schweizer Film»
Do, 29.1., 10.03 «Reflexe»
Festivalbilanz von Seraina Rohrer