Es ist immer wieder schön, wenn die neuen Programme unserer hochkarätigen Orchester ins Haus flattern und unser ebenso legendäres Kunsthaus Neuentdeckungen aus aller Welt oder auch Wiederentdeckungen aus dem eigenen, wohl gefüllten Kunstkeller ankündigt. Doch bis heute juckt es mich jedes Mal wieder von Neuem beim Lesen der hübschen Hochglanzpapiere. Darum will ich mich jetzt, man verzeihe mir die böse Verrenkung, einmal gründlich kratzen, wos beisst.
Auch wenn die grossen Musikveranstalter in London, New York, Johannesburg oder Sidney froh sein werden, dass sich die Bezeichnung für das gute alte «Aargauer Kammerorchester» endlich abgewirtschaftet hat und durch ein smartes «Chamber Aartists Orchestra» mit dem gerissenen Kürzel CHAARTS ersetzt worden ist, geht mir dieses Umtaufen einfach gegen den Strich. – Auch unser gestandenes «Aargauer Symphonie Orchester» hat sich zu «argovia philharmonic» upgedatet und outet sich uns nun unverhofft (und wohl eher unbeabsichtigt) als das kleine Privatorchester des gleichnamigen Lokalradios «Argovia», das sich ganz der kantonalen Nabelschau verpflichtet weiss.
Und während sich ein paar bornierte Einheimische auch und noch immer für den groben Orthografiefehler im englischen Wort Aartists und Chaarts ein wenig schämen, wird man in den internationalen Kunstmetropolen, so ist zu hoffen, grosszügig über das überflüssige zweite A hinwegsehen und sich sofort dahinter machen, um mit diesen Argoviens und ihren Schönen Künsten in Kontakt zu treten. – Zumal sich auf den Fenstersimsen ferner Städte schon seit geraumer Zeit ja auch die akkuraten und durchwegs englisch-deutsch erstellten Flyer, Ausstellungs- und Jahresprogramme des Aargauer Kunsthauses stapeln. Auch die praktischen Handouts lassen uns bis in den vermoosten, zuweilen sehr schön bespielten «Innenhof», will sagen «Courtyard» hinaus sprachlich nicht im Stich – vermeintlicherweise: Denn wie oft musste ich beim stillen Kunstgenuss schon ganze Scharen von verdutzten amerikanischen Kunstpilgern, solventen englischen Landlords und weither gereisten Neufundländerinnen aus dieser gläsernen Klause befreien, da von den Aargauer Kunsthäuslern ausgerechnet im Innenhöfchen das Anbringen eines kleinen, hier aber durchaus hilfreichen englischen Hinweises «push!» (zum Lenken der internationalen Besucherströme) fatalerweise vergessen gegangen ist.
Auffallend viele unserer hiesigen Schönen Künstlerinnen und Künstler befleissigen sich denn auch fast ausschliesslich englischer Werkbeschreibungen und Titel, um den Einzug in die Museen von Unterwalden, Appenzell oder Wormshead auf keinen Fall zu verpassen.
«Home is wherever my friends are», mit diesem denkwürdigen Motto, Sie erinnern sich vielleicht, hat sich vor Jahren schon eine (im übrigen sehr schöne und eindrückliche) Ausstellung im Kanton Uri unauslöschlich in meine bescheidene Erinnerung und hoffentlich auch in die Annalen der Weltkunst eingeschrieben. – Vielleicht sind ja die Aartists und Philharmonics und Courtyards (zusammen mit so viel Gleichgestimmten) halt doch auf dem richtigen Weg. Und nur ich muss mich gründlich löffeln, anstatt weiter zu witzeln.
Nein, ich meine ja nicht, es müsste ab heute alles nur noch in Berner, Basler oder Walliser Mundart gesagt oder gar geschrieben werden. Im Gegenteil! Aber mir scheint, das Urner Zitat von den Freunden und ihrer Heimat zum Beispiel würde sich, was es ja wohl möchte, in einer anständigen deutschen Übersetzung viel entschiedener absetzen von hinlänglich bekanntem Allerweltsgeraune über Heimat und Kunst. – Wie gern und schnell verwechseln wir doch sogenannte Weltläufigkeit immer wieder mit tatsächlicher Welthaltigkeit. Nicht nur auf dem Lande und im Aar-gau!
Ich möchte also bloss vorsichtig zu bedenken geben, was sich wohl ein Veranstalter ausserhalb des Einzugsgebietes unserer regionalen AAR bus+bahn-Betriebe, also Leute in London, Feldkirch oder Ostermundigen, etwa denken mögen, wenn ihnen formidable Musiker von tollen Konzerten allen Ernstes als Aartists vorgestellt werden. – Da wird doch einmal mehr – absolut arglos, jedoch im Handumdrehen – aus lauter Angst vor der Provinz namhafte Kunst ganz zu Unrecht in eigentliche Provinzkultur «umadressiert».
Denn während wir Einheimischen beim Buchstabieren von «Chamber Aartists Orchestra» immerhin noch an unser legendäres «AAR bus+bahn-Orchester» denken können, wirken die neuen Namen wohl ausgerechnet in den Augen der internationalen Kunst- und Musikwelt und ihrer Charts gelinde gesagt etwas crazy. – Wenn auch, zugegeben, noch lange nicht so verwirrend wie die Handhabung der AAR bus+bahn-Billettautomaten, die uns stets ein Zonenticket andrehen wollen anstelle einer Fahrkarte mit dem simplen Namen der Kantonshauptstadt.
Für Kulturbeflissene aus dem Ausland empfiehlt sich also dringend der Direktanflug auf den bald einmal stillgelegten Fussballplatz Brügglifeld: «Name and position?», wird der Aarauer Platzwart ins Cockpit hinauf fragen. Und es darf ihn nicht wundern, wenn unsere nächsten europäischen Nachbarn, selbstbewusst und gelassen, bei ihrer eigenen Muttersprache bleiben und der Dirigent der Maschine seelenruhig antworten wird: «I bin der Käptn und sitz ganz vorn.»
Klaus Merz
Klaus Merz ist 1945 in Aarau geboren und lebt in Unterkulm AG. Er hat zahlreiche Erzählungen, Romane und Lyrik veröffentlicht. Sehr erfolgreich waren «Jakob schläft. Eigentlich ein Roman» (1997) oder die Novelle «Der Argentinier» (2009). Zuletzt erschienen ist der Gedicht-band «Unerwarteter Verlauf» (2013). Klaus Merz wurde vielfach ausgezeichnet. Seit Herbst 2011 erscheint bei Haymon seine Werkausgabe in sieben Bänden. In diesen Tagen kommt der Dokumentarfilm «Merzluft» von Heinz Bütler über das Werk des Schriftstellers in die Kinos.