Wenn die Vergangenheit an der Tür klingelt, sind Konflikte meist vorprogrammiert. So auch beim Ehepaar Mangold, das an einem winterlich-dunklen Sonntagvormittag auf den Besuch des Sohns Simon und der Enkelkinder wartet. Während die Mutter sich dem Sonntagsbraten widmet, schreibt Vater Albert an seiner Predigt für den Gottesdienst – über «die Heiterkeit in Gott».
Wenig Heiteres steht allerdings mit einem unerwarteten Gast vor der Tür: Anna, Simons Jugendliebe, mit der er vor Jahren in jugendlichem Leichtsinn und aus anarchistischem Idealismus eine Banker-Gattin entführt hatte und im Gefängnis gelandet war. Während Anna aus dem Gefängnis geflüchtet und untergetaucht ist, hat Simon seine Strafe abgesessen. Im beruflichen Leben konnte er danach nicht mehr richtig Fuss fassen. Nun steht diese verdrängte Ex-Freundin, die dem Sohn aus Sicht der Eltern die Karriere vermasselt hat, vor der Türe und bittet um Einlass. Die Mangolds sind perplex.
Hier setzt die Probenszene in Luzern an: Hans-Rudolf Twerenbold als Pastor Albert erstarrt zur Salzsäule, seine Gattin (Anna Maria Tschopp) hingegen fuchtelt in einer aufgesetzten Nettigkeit wild mit den Händen. Und auch Anna (Katharina Bohny) fühlt sich sichtlich unwohl, klammert sich an ihren Rucksack fest …
Düsteres Kammerspiel
«Nur Gutes» nach einem Roman des Reporters und Autors Erwin Koch ist ein dichtes Kammerspiel, das mit kriminalistischen Elementen spielt: Der Besuch reisst alte Wunden auf und zerrt familiäre Abgründe ans Licht. Es herrscht eine diffuse Anspannung. Was versteckt Anna in ihrem Rucksack, den sie partout nicht aus den Händen geben will? Und was hat sie mit dem Mord am Friedhofswärter der vergangenen Nacht zu tun?
Der friedliche Wintertag entwickelt sich zum Albtraum. Die Polizei riegelt das Gelände rund um das Haus der Mangolds ab. Simon gelangt nicht mehr zum Haus seiner Eltern – er wird sie nie wieder sehen. Denn sie kommen im Verlauf des verhängnisvollen Sonntags ums Leben, und Anna verschwindet ohne Nachricht spurlos.
Was ist passiert? Dieser Frage geht der Sohn (Peter Hottinger) als vierte Figur im Kammerspiel nach. Simon, der beruflich als Redaktor von Nachrufen tätig ist, verfasst nach dem Tod seiner Eltern deren Nekrolog. «Nur Gutes» will er eigentlich über sie erzählen, und dennoch kommt nach und nach viel Unerfreuliches ans Licht. «Der Nachruf ist die letzte Wahrheit», hält er fest.
Rückblickend rollt er auch das Geschehen dieses letzten Sonntags auf: Anhand der Berichte von Polizei und Nachbarn sowie eines Brief und eines Fotos, die er im Nachhinein findet. In der Inszenierung von Nicole Davi taucht Simon jeweils wie ein Geist am Rande der Szenerie auf, mischt sich mit Kommentaren in die Gespräche der Mangolds mit Anna ein.
Dichte Sprache
Regisseurin Nicole Davi hat in der Kammerspiel-Situation des Romans viel Potenzial für ein Theaterstück gesehen, wie sie nach den Proben sagt. «Der Hauptgrund, warum ich diesen Roman auf die Bühne bringen wollte, ist aber Kochs reduzierte Sprache. Es ist ein Genuss, die lakonischen Dialoge, die Wendungen im Stück und die Zeichnung der Figuren theatralisch umzusetzen.»
Sie hält sich in ihrer Inszenierung eng an die Originalfassung und bleibt der dichten Sprache von Koch treu. Parallel zur kargen Sprache wählt sie reduzierte Mittel. Das Bühnenbild (Bernadette Meier) ist mit zwei schwarzen Holzblöcken schlicht gestaltet, die Figuren kommen ohne Requisiten aus und bewegen sich in einem eng abgesteckten Raum – so beklemmend, wie die Situation im Roman geschildert wird. Durchgehendes musikalisches Motiv bleibt ein finnisches Lied aus einer Spieldose (Musik: Stefan Haas). Das Lied ist in zahlreichen Verfremdungen zu hören und sorgt ebenfalls für eine spannungsaufgeladene Atmosphäre, in welcher eine undefinierbare Bedrohung im Hintergrund mitschwingt.
Eine Spur von Glück
Erwin Koch packt eine geballte Ladung Tragik in seinen Roman. «Nicht mehr als in seinen Reportagen – und diese sind wahr», kontert Davi. «In unserer Inszenierung haben aber auch die komischen und leichten Elemente Platz – schliesslich hat fast jede Liebesgeschichte, die tragisch endet, einmal mit Glück und Leichtigkeit begonnen.»
Mit ihrer Inszenierung will sie Themen ansprechen, die alle angehen: Verlust, Schuld, Versöhnung, Verarbeitung – dies alles verhandelt das Stück innerhalb des kleinen Kosmos Familie. Vieles bleibt unausgesprochen im Roman. Regisseurin Nicole Davi und die Theatergruppe Daas Kollektiv wollen diese Leerstellen mit theatralischen Mitteln füllen.
Nur Gutes
Sa, 11.10./Do, 16.10./ Fr, 17.10., jew. 20.00 Kleintheater Luzern
Sa, 18.10., 20.00 Fabriggli Buchs SG
Di, 28.10./Do, 30.10./ Fr, 31.10./Sa, 1.11., jew. 20.00 Keller 62 Zürich
Mi, 26.11./Fr, 28.11./Sa, 29.11., jew. 20.15 Theater im Kornhaus Baden AG
Weitere Tourneedaten: www.daaskollektiv.ch