Gegen Schluss des Romans bringt sich der Autor Helmut Krausser selbst ins Spiel. Man könnte darin einen wohlfeilen Trick erkennen, doch er tut dringend Not. Denn die Geschichte des Romans ist zu diesem Zeitpunkt bereits heillos verworren, sodass die Anwesenheit des Autors Klärung verspricht. Krausser ist im wirklichen Leben Bühnenautor und Komponist. Er hat Hörspiele geschrieben und gilt als respektabler Schachspieler, was man dem verzwickten Roman «Alles ist gut», der im Musikermilieu spielt, anmerkt.
Das Ganze beginnt recht überschaubar. Ein erfolgloser Komponist namens Marius Brandt träumt vom grossen Ruhm und werkelt eifrig, wenn auch unter beständiger alkoholischer Sedierung, vor sich hin. Er müht sich mit treulosen Operndramaturgen ab, hat zu Unrecht einen lästigen Polizisten am Hals und vermag seine Freundinnen nur mit grosser Mühe an sich zu binden.
Verzwicktes Spiel
Doch plötzlich steht Brandt ein Kompositionsauftrag ins Haus. Ab diesem Zeitpunkt wird es kompliziert: Denn mit dem Auftrag fliegt dem Komponisten ein mysteriöses Bündel Musiknoten zu. Dieses verschafft Brandt zwar zunächst Inspiration. Als die Uraufführung seines Werks aber unvorhersehbar Menschenleben fordert, konfrontiert ihn das Notenbündel mit schwerwiegenden Fragen.
Der Leser weiss, was Brandt höchstens ahnt: Die ominösen Notenblätter haben eine bewegte Geschichte hinter sich. Sie sind vor dem 17. Jahrhundert entstanden, gelangten über einen päpstlichen Nuntius zu einem polnischen Rabbi und schliesslich zu einer jüdischen Familie. Daraus entwickelt Krausser einen zweiten Erzählstrang, der obendrein von einer Dämonengeschichte flankiert wird. Fortan entfaltet der Roman ein raffiniertes Spiel zwischen Realitäts- und Möglichkeitsformen. Diese raffinierte Erzählkonstruktion dekoriert Krausser mit seiner offenkundigen Fabulierlust. Dadurch wird das Buch zur amüsanten und zugleich herausfordernden Lektüre. Krausser liebt Provokationen und platziert gerne machohafte Floskeln wie: «Ich hab Ihnen June vorbeigeschickt, eine frische Verliebtheit, damit Schwung in die Bude kommt. Für Ihre Inspiration. Das war doch nett von mir.»
Selbstreflexiv
Oder er schreibt seinem Komponisten musikästhetische Konzepte zu, die sich in gehässiger Manier gegen die europäische Nachkriegsavantgarde äussern: «Wenn es darum geht, ob die Oper weiterlebt, mit populären Werken und ausverkauften Uraufführungen, zögen etliche Donaueschinger Ultras eher den Untergang vor, die komplette Marginalisierung moderner E-Musik, als ein irgendwie tonales Werk gutzuheissen. Hierin gleichen sie Hitler im Bunker, der das deutsche Volk anno 1945 für unwert befand, fürderhin zu existieren.»
Doch wie schreibt der zur Selbstreflexion durchaus befähigte Autor auf der drittletzten Seite seines Romans, und zwar als Krausser höchstpersönlich? «Ich muss den Kopf dafür hinhalten und wohl leider, als banalen Nebeneffekt, auch den Ruhm einsacken.» Dem ist nichts hinzuzufügen.
Fritz Trümpi
Helmut Krausser
«Alles ist gut»
240 Seiten
(Berlin Verlag 2015).