Wie es am Lucerne Festival nach dem Tod von Festspielmagnet Claudio Abbado weitergehen könnte, zeigte sich in der zweiten Februar-Woche drastisch: Der 73-jährige Riccardo Muti überraschte die Klassikwelt. Der vermeintliche Erzfeind des kürzlich verstorbenen Claudio Abbado wird im Juni das Orchestra Mozart «noch einmal» dirigieren.
In der Not ist der Antipode die Lösung.
Offene Fragen
Einen Tag später teilte Lucerne Festival hingegen mit, dass Claudio Abbados Luzerner Konzert vom 7. April mit eben diesem «Orchestra Mozart» ersatzlos gestrichen werde. Die Abbado-Vergangenheit war schon eine Last.
Dann kam am Freitag, 14. Februar, die Nachricht, dass der 36-jährige Andris Nelsons die sommerlichen Konzerte des Lucerne Festival Orchestra (LFO) von Claudio Abbado übernimmt. Damit war klar, dass es zwischen Ausfall und Übergangslösung ein Zukunftsdenken gibt. Die Befürchtungen, dass die sommerlichen LFO-Konzerte gestrichen werden, sind vom Tisch. Es bleiben aber offene Fragen.
Was geschieht ab 2015 mit dem Lucerne Festival Orchestra, das Abbado jeden Sommer für zwei Programme dirigierte und das den Sommer und den weltweiten Ruf des Festivals prägte?
Die Musiker des Orchesterstamms, des Mahler Chamber Orchestra und auch des Mozart Orchestra, liebten es, mit Abbado zu musizieren. Die hinzukommenden «Stars» des Orchesters opferten sogar ihre Ferien für diese Ausnahmegestalt: Es war selbst für alte Füchse ein Erlebnis, mit Abbado zu spielen – aber eben nur mit ihm.
Im Geiste Abbados?
So stellt sich ob der vielen Abbado-Freunde die Frage: Muss der Neue im Geist Abbados dirigieren? Selbst für die Abbado-Zöglinge Daniel Harding oder Gustavo Dudamel wäre das eine unlösbare Aufgabe. Und vor allem bleibt die Frage an diese zwei viel beschäftigten Jungstars und den Intendanten: Braucht das Lucerne Festival nicht eine exklusive Überfigur, wie sie Abbado darstellte? Wer dies bejaht, stimmt einem Orchester-Umbau zu. Ein alter Meister würde auf die Länge kein Abbado-Orchester dirigieren, sondern sein «Orchester der Freunde» naturgemäss mit eigenen Leuten bestücken.
Auf die Frage, ob denn das Mahler Chamber für das zukünftige LFO gesetzt sei, wie sich das der verstorbene Abbado wünschte, heisst es bei Lucerne Festival: «Diese Frage können wir erst beantworten, wenn wir diese Thematik mit dem künftigen Künstlerischen Leiter des LFO geklärt haben.» Anders gesagt: Das Mahler Chamber Orchestra ist nicht gesetzt.
Das heisst, dass endlich auch über Dirigenten gesprochen wird, die keine indirekte Verbindung zu diesem Orchester haben und die in Luzern bisher nur hinter vorgehaltener Hand erwähnt wurden.
Dirigenten wie Daniel Barenboim (72), Simon Rattle (59), Riccardo Muti oder Lorin Maazel (84) sind teilweise eng mit Formationen verbunden, die den Stamm des neuen LFO bilden könnten. Und alle kennen genügend grosse Musiker, die sich im Sommer auf ein exklusives Orchesterabenteuer einlassen würden. Dafür würden die Konzertbesucher wieder 350 Franken für einen Parkettplatz bezahlen. Bei allem Zauber der letzten zehn Abbado-Jahre: Die Konzerte mit dem Italiener wären dann Geschichte, die Zukunft des Lucerne Festivals könnte beginnen.
Boston, Luzern, Berlin
Aber vielleicht beginnt diese Zukunft schon am 15. August mit der «Übergangslösung» Andris Nelsons, mit einem Kompromiss. Der Lette ist hinter den alternden Legenden der erste, der dieser grossen Aufgabe gewachsen wäre. Im Mahler Chamber Orchestra, bei den Abbadiani, ist er willkommen, mit ihm pflegt man eine gute Beziehung. Und seine ungemein einnehmende Art des Musizierens könnte selbst die alten Abbado-Hasen weiterhin nach Luzern locken. Nelsons ist allerdings ein so gefragter Mann, dass es sehr schwer sein wird, ihn im August an Luzern zu binden. Schon diesen Sommer wird er zwischen Bayreuth (fünfmal »Lohengrin») und Luzern hin und her hetzen.
Bezeichnend: Am ursprünglich vorgesehenen dritten Termin, am 25.8., tritt statt des Lucerne Festival Orchestra das Mahler Chamber Orchestra mit Daniele Gatti am Dirigentenpult auf. Nelsons Terminplan ist zu voll. Seine Orchester in Birmingham und Boston nehmen ihn in die Pflicht, ab 2019 vielleicht die Berliner Philharmoniker, vielleicht das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Sowohl mit den Amerikanern wie mit den Deutschen wäre er Stammgast in Luzern – anderswo aber auch. Die Exklusivität, die Abbado verströmte, bleibt vielleicht ein Luzerner Traum.
Was meinen Sie?
Frage: Wer soll das Lucerne Festival Orchestra in Zukunft dirigieren? Schreiben Sie uns Ihre Meinung (bitte auch Wohnort angeben)!
kulturtipp
Stichwort «Nachfolge»
Postfach, 8024 Zürich, oder redaktion@kultur-tipp.ch
CDs
Mozart: Klavierkonzerte 20&25
Claudio Abbado/Martha Argerich
(Luzern 2013, DG 2014).
Shostakovich: Symphony No. 7
Leningrad, Andris Nelsons
City of Birmingham Symphony
Orchestra (Orfeo 2012).
Lucerne Festival Ostern
Sa, 5.4.–So, 13.4.
Andris Nelsons: Gedenkkonzert Claudio Abbado
So, 6.4., 16.00 KKL
Wagner: Parsifal (3. Aufzug)
Sa, 12.4., 18.30 KKL
Sommerfestival
Fr, 15.8.–So, 14.9.
Ab Mo, 10.3., sind die Karten für das Sommerfestival, auch die Konzerte mit Andris Nelsons, online buchbar: www.lucernefestival.ch
SBB RailAway-Kombi für das Lucerne Festival mit 50 % Bahnermässigung erhältlich am Bahnhof, über den SBB Ticketshop oder beim Rail Service 0900 300 300 (CHF 1.19/Min. vom Schweizer Festnetz). Weitere Infos auf sbb.ch/lucernefestival