Ein sympatischer Schurke
«Die Memoiren des Barry Lyndon» von William Makepeace Thackeray sind in neuer Übersetzung herausgekommen.
Inhalt
Kulturtipp 23/2013
Rolf Hürzeler
Ein junger, ungestümer Abenteurer schnappt sich im 18. Jahrhundert die verwitwete Countess Mary Eleanor Bowes zur Ehefrau. Sie ist Erbin einer überaus reichen Familie und eine ambitionierte Schriftstellerin. Der Abenteurer dagegen ist ein bankrotter Leutnant. Er führt nach der Heirat ein verschwenderisches Leben und demütigt die Countess. Seine Tage beschliesst er im Schuldgefängnis. Die Rede ist von Andrew Robinson Stoney, einem anglo-irischen Tunichtgut. Er die...
Ein junger, ungestümer Abenteurer schnappt sich im 18. Jahrhundert die verwitwete Countess Mary Eleanor Bowes zur Ehefrau. Sie ist Erbin einer überaus reichen Familie und eine ambitionierte Schriftstellerin. Der Abenteurer dagegen ist ein bankrotter Leutnant. Er führt nach der Heirat ein verschwenderisches Leben und demütigt die Countess. Seine Tage beschliesst er im Schuldgefängnis. Die Rede ist von Andrew Robinson Stoney, einem anglo-irischen Tunichtgut. Er diente dem englischen Schriftsteller William Makepeace Thackeray (1811–1863) als Vorbild seines Romanhelden Barry Lyndon. Der Manesse-Verlag hat nun «Die Memoiren des Barry Lyndon» in neuer Übersetzung herausgegeben.
Ein Glücksritter, der als Emporkömmling das Vermögen seiner Frau verprasst, war bereits im 19. Jahrhundert ein verwerflicher Charakter. Und doch zeichnet Thackeray seinen Helden Barry Lyndon nicht durchwegs schlecht, sondern als einen Lebenskünstler, der sich nimmt, was ihm im Leben zustehen sollte – mit einer Selbstverständlichkeit, die in Arroganz kippt.
Thackerays Genie
«Warum sollte nicht ich die Witwe erringen und mit ihr die Mittel, um in der Welt jene Figur abzugeben, die mein Genie und meine Neigungen ersehnten?» In solchen Sätzen manifestiert sich Thackerays Genie: Barry Lyndon ist zwar ein Schurke, der aber die Sympathie des Lesers nie ganz verliert.
Der Viktorianer Thackeray gilt neben der Schriftstellerin George Eliot und dem Romancier Charles Dickens als der wichtigste englische Autor des 19. Jahrhunderts. Er machte sich in seinen Büchern wie dem «Jahrmarkt der Eitelkeit» über das neu etablierte Bürgertum und den dekadenten Adel lustig. «Barry Lyndon» wurde im deutschsprachigen Raum 1975 durch den gleichnamigen Film von Stanley Kubrick zum Begriff.
Thackeray hat mit diesen «Memoiren», die Lyndon im Schuldgefängnis zu Papier bringt, ein vergnügliches Meisterwerk der Erzählkunst geschrieben. Die Geschichte, die trotz vieler Abschweifungen immer kurzweilig bleibt, ist zuerst als Zeitungsserie erschienen.
William Makepeace Thackeray
«Die Memoiren des Barry Lyndon»
Deutsche Erstausgabe: 1844
Neu erhältlich bei Manesse.